leitartikel

Früher war mehr Zukunft

d'Lëtzebuerger Land vom 19.12.2025

Besinnlich soll es die nächsten Tage werden. Und entgegen dem, was die Konsumdoktrin uns diktiert, brauchen die meisten hierzulande vor den Feiertagen nicht mehr Materielles, sondern reale Verbindung zu anderen Menschen, sinnstiftende Tätigkeiten und weniger Zeit vor Bildschirmen – insbesondere die Heranwachsenden.

Im kürzlich erschienen Éclairage sur les hospitalisations des enfants et adolescents au Luxembourg des Observatoire national de la santé steht die seelische Gesundheit (troubles mentaux) an zweiter Stelle der Ursachen für Krankenhausaufenthalte Jugendlicher zwischen 13 und 18 Jahren, mit 16,7 Prozent (2018-2022). Allen voran sind es Verhaltens-, Anpassungs- und Angststörungen, Depressionen und Wahnvorstellungen, die die Jugendlichen ins Krankenhaus befördern. Dass es einem Teil von ihnen seelisch nicht sonderlich gut geht, ist schon seit etwa 2015 festzustellen. Spätestens seit der Covid-Pandemie wird zumindest etwas vermehrt darüber gesprochen. Die Jugendpsychiatrien in Luxemburg sind ausgelastet, die Wartezeiten lang. Ähnlich sieht es dem Vernehmen nach bei den Psychologen und Psychotherapeutinnen aus.

CSV-Gesundheitsministerin Martine Deprez antwortete im März in einer parlamentarischen Antwort, dass ein Anstieg der Verkäufe von Antidepressiva an Kinder und Jugendliche zwischen 2019 und 2023 zu beobachten war. Ob es ein „effet passager“ der Pandemie sei oder wie sonst zu erklären, darauf wollte sie sich nicht festlegen. Der diesjährige Bericht des Ombudsman fir Kanner a Jugendlecher bestätigt die Tendenz einer sich verschlechternden seelischen Gesundheit insbesondere bei den Kindern, die am verwundbarsten sind: jene, die in Heimen aufwachsen. Sie machen einen wesentlichen Teil der jungen Menschen aus, die in psychische Krisen geraten und länger stationär behandelt werden müssen, etwa in der Orangerie im CHNP.

Die Ursachen für psychische Belastungen und Krisen sind vielfältig. Sie lassen sich nicht nur durch familiäre Umstände erklären, sondern auch durch gesellschaftliche. Bullerbü gibt es auch in Luxemburg nicht mehr: Jugendliche spiegeln sich in Digitalität, tragen Krisen, die sich überall abspielen, in der Hosentasche – Zukunftsängste können sie anfälliger für seelisches Leiden machen. Andererseits messen sie sich im Sekundentakt mit verzerrten und faken Bildern, die sie selbst kaum einzuschätzen vermögen. Machen sie etwas falsch, und landet es im Netz, weiß jeder Bescheid. Die Pubertät, eine Zeit der Selbst- und Identitätsfindung, ist ohnehin schon turbulent. Diese Zeit, gekoppelt mit dem unkontrollierbaren Netz und mangelnder Aufklärung an Schulen, ist verheerend. Wer zuhause Unterstützung hat, kommt noch einigermaßen klar. Die Verwundbaren gehen unter.

„Wir müssen uns fachlich völlig neu aufstellen“, sagt Nathalie Keipes, Direktorin des Cepas, des schulpsychologischen Dienstes, im Gespräch mit dem Land. In den Schulen müsse viel mehr wissenschaftliches Material zum Einsatz kommen, das Jugendliche über den Impakt von exzessiver Nutzung des Smartphones und Social Media auf die Gesundheit und menschliches Verhalten aufklärt.

Die Politik reagiert zu langsam. Der Plan national de la santé mentale (PNSM), der 2023 noch von LSAP-Gesundheitsministerin Paulette Lenert vorgelegt wurde, verspricht derweilen, das Angebot an therapeutischen Wohnplätzen auszubauen; den Zugang zur psychischen Unterstützung zu erleichtern, mehr ambulante Angebote zu schaffen, um die Krankenhäuser zu entlasten. Es braucht jedoch auch mehr Regulierung, mehr Prävention, mehr Aufklärung. Kürzlich erklärte CSV-Justizministerin Elisabeth Margue, man wolle eine EU-Richtlinie abwarten, um ein Mindestalter für Social Media einzuführen, da dies „technisch“ einfacher sei. Die Richtlinie soll in sechs bis zwölf Monaten vorliegen. Statt Vorreiter zu sein, und sich auf das Wesentliche zu besinnen, nämlich die Gesundheit der nächsten Generation.

Sarah Pepin
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