Eine gute Stunde lang debattierte die Abgeordnetenkammer am Mittwoch über „Libéralisation, privatisation et commercialisation de notre système de santé“. Die LSAP-Fraktion hatte die Aktuelle Stunde beantragt, ihr Abgeordneter und Ex-Minister Mars Di Bartolomeo hatte einen großen Auftritt. Er wetterte gegen CSV und DP, die im Wahlkampf „das Blaue vom Himmel versprochen“ hätten. Gegen den Ärzteverband AMMD und dessen Wunsch nach selektiver Konventionierung mit der CNS, Tariffreiheit und Privatversicher. Gegen die Findel Clinic und gegen die Radiologie-Antenne, die für GridX im Gespräch war.
In der Stunde, die folgte, bekannten sich alle Fraktionen und Sensibilitäten zum öffentlichen solidarischen System. „Keng Gesondheetspolitik iwwer de Portmonni!“, erklärte CSV-Fraktionspräsident Marc Spautz. DP-Parteipräsidentin Carole Hartmann bezeichnete die Konventionierung als „een vun eise wichtegsten Aquisën“. Politisch links von ihr wurde das natürlich auch so gesehen. Nur die ADR meinte, sich vom Mainstream ein wenig unterscheiden zu müssen. Parteipräsidentin Alexandra Schoos fand, die Konventionierung sollte obligatorisch, aber nicht automatisch sein, sagte aber nicht, warum. Die Ärzt/innen sollten „méi Flexibilitéit“ bekommen, „wéi am Ausland“. Gesundheits- und Sozialministerin Martine Deprez nannte die Debatte „ganz, ganz wichteg“ und versprach, im Kapital von Ärztehäusern werde es „keng Private Equity“ geben.
So viel Einigkeit war nicht überraschend. Dafür einzutreten, dass Privatversicherer eine regelrechte Rolle in der Gesundheitsversorgung übernehmen sollen, wie die AMMD das vor fünf Wochen getan hat, ist politisch fast so gefährlich, wie die Renten zu kürzen. Der Mehrheit und Martine Deprez aber ist offenbar nicht klar, was aus ihren Bekenntnissen folgten müsste. Wenn die Gesundheitsversorgung öffentlich und solidarisch bleiben soll, dann muss öffentlich klargestellt werden, was sie nicht bieten kann. Dann muss klar sein, dass das mit Kontrolle und Begrenzung des Angebots zu tun hat. Und dass die Nachfrage nicht stimuliert werden darf.
Gerade heute müsste das auf der Hand liegen, denn der CNS-Krankenversicherung geht das Geld aus. Ein Blick in den Mehrjahres-Staatshaushalt 2026 bis 2029 liefert die Zahlen: Ende dieses Jahres wird die Krankenversicherung noch eine Reserve von 810 Millionen Euro haben. 2026 wird sie voraussichtlich ein operationelles Defizit von 125 Millionen verzeichnen, das die Reserve schrumpfen lässt. Bis 2029 könnte es auf 319 Millionen wachsen. Das nennt man strukturell defizitär.
Trotzdem verkündeten Marc Spautz, Carole Hartmann und Martine Deprez am Mittwoch, welche Segnungen in den nächsten Jahren übers Land kommen sollen. Dezentralisierte Ärztehäuser, damit die Spitäler sich auf ihre „Kernaufgaben“ konzentrieren können (Marc Spautz). „Ausbau vum Extrahospitalier“, denn das habe sie schon 2022 gesagt (Carole Hartmann). Ein erweitertes Angebot, ohne die Spitäler zu schwächen; mehr Hausarzt-Medizin; mehr Digitalisierung (Martine Deprez).
Nicht, dass das alles unsinnig wäre. Doch wenn die solidarische Finanzierung und der Zugang für alle zu denselben Leistungen erhalten bleiben sollen, dann muss die politische Botschaft lauten: Wir planen all das. Wir machen, was wir im Wahlkampf als „sozialistisch“ verteufelt haben. Wir können nicht alles überall anbieten. Wir beheben, was im System nicht gut läuft, denn es läuft vieles nicht gut. Andernfalls müsste das Eingeständnis lauten: Wir wollen das Beste und Schönste, können es uns aber nicht leisten. Deshalb öffnen wir das System für den Markt, lassen seine Regulierung über den Preis zu, lassen Zusatzversicherungen eine Rolle in der Versorgung spielen und Finanziers eine im Kapital von Ärztehäusern und sogar Spitälern.
Eine dritte Option gibt es nicht.