Oliver Vorwerk inszeniert Brechts Leben des Galilei im TNL. Das Stück ist trotz aktuellem Stoff lang, überdreht und enthält wenig episches Theater

Um wen dreht das (Welt-)theater?

d'Lëtzebuerger Land du 02.05.2025

Ist die Erde eine Scheibe? Hört man dem US-amerikanischen Außenminister zu, könnte man in einer Welt, die wirkt, als sei sie aus den Fugen geraten, und in der klerikales Gedankengut wieder Maxime der Politik wird, fast auf den Gedanken kommen.

Bert Brechts „Leben des Galilei“ erzählt die Geschichte des Naturwissenschaftlers Galileo Galilei, der im 17. Jahrhundert herausfand, dass die Sonne im Mittelpunkt unseres Universums steht — und nicht die Erde, wie die Menschen bis dahin geglaubt hatten. Durch seine Entdeckung gerät er in einen Konflikt mit der katholischen Kirche.

Eindrucksvoll ist das Bühnenbild von Martin Hilti. Über einem Stein, der einem Meteoriten gleich über der Bühne schwebt, ist grell der Schriftzug Florentia zu erkennen; mit der Schwingung lassen sich die Drehungen der Erde und die Diskussion um das Zentrum der Welt wunderbar veranschaulichen („Das Ganze ist das Falsche. 8 Jahre Schweigen“ wird darauf irgendwann mit Kreide geschrieben.) Davor ragt ein Teleskop phallisch gen Himmel.

Anstoß zur Dramatisierung der Lebensgeschichte Galileis (1564-1642) gab die Nachricht von der ersten Spaltung von Uranatomkernen durch Otto Hahn 1938. Brecht erkannte darin den Beginn eines neuen wissenschaftlichen Zeitalters, vergleichbar in seiner Bedeutung mit der kopernikanischen Wende des 16. Jahrhunderts. Brecht schrieb mehrere Fassungen des Stückes in 15 Bildern. Stehen wir angesichts des Durchbruchs Künstlicher Intelligenz heute vor einem neuen Zeitalter?

Den Ausgangspunkt bildet das Bekenntnis des damals in Padua tätigen Galilei: „Die alte Zeit ist herum, und es ist eine neue Zeit. Bald wird die Menschheit Bescheid wissen über ihre Wohnstätte, den Himmelskörper, auf dem sie haust. Was in den alten Büchern steht, genügt ihr nicht mehr.“ Den Saal des TNL füllen Schulklassen, was viel Rascheln und Gequatsche zur Folge hat. An einem DJ-Pult rechts neben der Bühne wird sinnliche Live-Musik von Hanns Eisler bis Sting (Karin Ospelt) erzeugt.

Kaugummi kauend präsentieren sich die Schauspielerinnen (Antonia Jungwirth, Rosalie Maes, Alisa Kunina – allesamt stark) auf der Bühne und hinterfragen betont lässig die von der Kirche tradierte Weltordnung. Ein Schauspieler im schlechtsitzenden Nadelstreifenanzug (Stefan Gebelhoff) gibt den Galilei: „Wir sind eingekapselt“, sagt er. Anfangs noch in einem Sessel lümmelnd, beharrt er auf seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Er weiß um die Engstirnigkeit seiner Zeitgenossen: „Die Städte sind eng, und so sind die Köpfe. Aberglauben und die Pest. Aber jetzt heißt es: Da es so ist, bleibt es nicht so. Denn alles bewegt sich, mein Freund“, sagt Galilei zu seinem Lieblingsschüler Andrea Sarti (gespielt von Antonia Jungwirth). Anfangs ist der Gelehrte noch voller Tatendrang, um dieses festgefahrene Denken zu ändern ... Die bodenständige Mutter (Rosalie Maes) meckert über Galileis Belehrungen: „Soo!“

Galilei aber tritt flapsig auf, so recht will man ihm den zaudernden Wissenschaftler nicht abnehmen. Ins Publikum lamentiert er: „Ich bin 46 Jahre alt und habe noch nichts geleistet, was mich befriedigt“, indes Andrea neckisch Eiscreme löffelt. Streckenweise kippt die Inszenierung ins Überdrehte; hin- und wieder dominiert Hosenstallhumor, etwa, wenn es heißt „Ludo-Ficko“. Ein aalglatter Mann (Georg Melich) in kardinalrotem Kostüm und roten Lackpumps klebt sich den Klerus repräsentierend ein Kreuz mit schwarzem Tape-Band auf die Brust.

„Was ist eine Hypothese?“ fragt Andrea und blickt verwundert durchs Fernglas: Die Welt wird greifbar! Das Ensemble skandiert im Chor: „Die Wahrheit durch das Teleskop.“

Rosalie Maes als Priuli liefert einen starken Gegenpart zu Galilei und stellt das Fernrohr infrage. Alle tingeln aufgeregt um das Teleskop herum, während der Chor singt: „Schön ist nicht alles, was ein großer Mann tut. Und Galilei aß gern gut.“ „Wo ist G‘t in deinem Weltsystem?“, fragt Sagredo: „In uns. Oder gar nicht“, kontert Galilei und warnt ihn: „Ich liebe die Wissenschaft, aber mehr noch Dich, mein Freund.“

Wahre Freunde wissen, wann man sich in den Abgrund stürzt, und warnen vor dem Fall. Irgendwann wird Galilei verzweifelt dem verzogenen neunjährigen Großherzog von Florenz schreiben. Denn wie jeder genial-verkannte Wissenschaftler oder Künstler krebst Galileo finanziell. Und als Lehrer am Hof erhofft er sich Zeit für seine Forschungen ... „Hier geht es zu wie in einem Taubenschlag“, heißt es in Vorwerks Inszenierung und es wird mit italienischen Kraftausdrücken um sich geworfen; eine ungestüme, witzige Rauferei auf dem Tisch. Ach, diese ungehobelten Italiener!

Wiederholt fallen Anspielungen auf den durch die Inquisition hingerichteten Giordano Bruno. Männer wie Galileis Schüler Andrea werden von Darstellerinnen gespielt, ein unmittelbarer Sinn abgesehen von der Geschlechterrepräsentation erschließt sich jedoch nicht. Sukzessive wird Galilei seine Überzeugungen („Die Wissenschaft ist zur Ehrlichkeit verdammt“) verwässern und dann seinen Erkenntnissen abschwören. Der Konflikt zwischen Wissenschaft und Dogma der Kirche, am Rande des Missbrauchs, wird im zweiten Teil der Inszenierung gut herausgearbeitet.

Ein Rückgrat haben die Wenigsten, wusste Brecht schon in seinen Geschichten des Herrn Keuner. Oder wie Galilei seinen Zweckpragmatismus auf den Punkt bringt: „Ich kann mich nicht als Flüchtling sehen. Ich schätze die Bequemlichkeit.“ Eine Abschrift seiner Discorsi kann von Andrea gerettet werden. Schier unmöglich hier nicht an das Lukrez-Gedicht De rerum natura zu denken, das erst mehr als 1 400 Jahre nach seinem Erscheinen die Öffentlichkeit erreichte, wie es der Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt in seinem Buch Die Wende eindrucksvoll schildert.

„Unglücklich das Land, das keine Helden hat“, wird Andrea am Ende seinem Meister vorwerfen. „Nein, unglücklich das Land, das Helden nötig hat“, verteidigt Galilei seine Entscheidung. Am Ende des langen Abends (die Bühnenfassung hätte gestrafft werden sollen) stellt man sich die Frage: War diese aufgeregte Inszenierung episches Theater?

Anina Valle Thiele
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