Der Krankenhausverband verlangt, dass die Regierung den Gesetzentwurf über Gesundheits-Gesellschaften zurückzieht

„Systemisches Risiko“

Die eine Ärztin könnte Teilhaberin einer Gesellschaft sein, der andere Arzt ihr Angestellter,  ein dritter Freiberufler
Foto: Martin Linster
d'Lëtzebuerger Land vom 04.11.2022

Die Forderung könnte klarer nicht sein: Gesellschaften sollte es im Gesundheitswesen besser nicht geben. Die Regierung müsse den Gesetzentwurf von LSAP-Gesundheitsministerin Paulette Lenert zurückziehen. Selbst wenn versucht würde, ihn nachzubessern, wäre das daraus folgende Gesetz ein „risque systémique majeur pour l’ensemble des institutions de santé en général et du système hospitalier en particulier, en mettant en danger leur fonctionnement et leur rôle dans la santé publique de notre pays“. So der Krankenhausverband FHL in seiner Stellungnahme.

Ausgerechnet Paulette Lenert zu bescheinigen, das gesamte Gesundheitswesen einem systemischen Risiko auszusetzen, ist politisch starker Tobak. Immerhin avancierte Lenert, kaum hatte sie Etienne Schneider Anfang Februar 2020 abgelöst und wurde knapp vier Wochen später der erste Covid-Fall registriert, als Pandemie-Managerin und Corona-Erklärerin zur beliebtesten Politikerin des Landes. Dass sie die LSAP als Spitzenkandidatin in den Wahlkampf 2023 führen wird, ist ziemlich wahrscheinlich.

Und das juristische Gutachten der in Streitfällen zum Gesundheitsrecht erfahrenen Anwaltskanzlei Penning, Schiltz & Wurth, auf das die FHL sich stützt, ist in seinem Fazit nicht so hart wie die Konklusion der Krankenhaus-Generaldirektoren. Die Kanzlei PSW hält den Gesetzentwurf für verbesserungsfähig. Wenngleich mit viel Aufwand – da sei „du pain sur la planche“. FHL-Präsident Philippe Turk dagegen erklärt dem Land, schon aus dem Ansatz der Ministerin ließen sich „ganz viele Rechtskonflikte in ganz verschiedenen Bereichen“ absehen. So dass eine gute Lösung auch darin bestehen könne, Gesundheits-Gesellschaften ausdrücklich zu verbieten, statt sie mühsam zu ermöglichen. Besonders wenig scheint der FHL die Vorstellung zu behagen, dass Klinikärzt/innen in Zukunft Teilhaber/innen oder Angestellte von Gesellschaften sein können. Dann, befürchtet Turk, gerate „das besondere Vertrauensverhältnis Arzt-Patient“ in Gefahr.

Das ist eine Aussage, die sich nicht nur an die Ministerin, die Regierung und die Politik im Allgemeinen richtet, sondern natürlich auch an die Bürger/innen. Und an den Ärzteverband AMMD, der im Wahlkampf 2018 begonnen hatte, für „Ärztegesellschaften“ zu werben. Bislang schließen Ärzt/innen sich in Assoziationen zusammen. Über diese führen sie Gemeinschaftspraxen, teilen sich deren Kosten und den Verwaltungsaufwand. Immer öfter werden Praxisimmobilien in gemeinsam gegründete Immobiliengesellschaften eingebracht. Gehören alle Ärzt/innen einer Assoziation derselben Fachdisziplin an, können auch die Honorareinnahmen miteinander geteilt werden. Weil das bereits nicht wenige Möglichkeiten der Vergemeinschaftung sind, kommt das Rechtsgutachten für die FHL zu dem Schluss, viel Mehrwert für die Patient/innen sei aus Gesellschaften nicht zu erwarten.

Dabei verspricht die Gesundheitsministerin genau das. Im Motivenbericht zum Gesetzentwurf steht, Gesellschaften, die im Unterschied zu Assoziationen nicht nur Teilhaber/innen hätten, sondern auch Angestellte, könnten ein breiteres Angebot machen. Die „Primärversorgung“ werde besser, und verglichen mit heute „plurisdisziplinärer“. Sie könne auch dann zur Verfügung stehen, wenn der behandelnde Arzt nicht da ist. Jungen Ärzt/innen wiederum, die keine Lust auf Freiberuflichkeit haben, böte ein Angestelltenverhältnis die Chance zu einer ausgeglicheneren Work-Life-Balance. So ähnlich vertritt das seit 2018 auch die AMMD: Die Gesellschaften seien ein wichtiger Baustein, um Luxemburg attraktiv zu halten, wenn in ganz Europa der Ärztemangel immer größer wird.

Worin da ein „systemisches Risiko“ stecken soll, ist nicht so leicht einzusehen. Doch: Seit gegen Ende 2020 die Ideen für ein Gesellschaftsgesetz konkreter wurden, hatten AMMD und Gesundheitsministerium versichert, auf keinen Fall dürfe ausländisches Kapital über die Gesellschaften im hiesigen Gesundheitswesen Fuß fassen. Anfang 2021 griff die AMMD die Krankenhausstiftung Robert Schuman massiv an, weil es so aussah, als wolle diese, als Finanzier, in Junglinster eine Poliklinik eröffnen. Paulette Lenert versicherte, dafür zu sorgen, dass Teilhaber der Gesellschaften nur Personen mit vom Gesundheitsministerium anerkanntem Beruf und einer „autorisation d’exercer“ werden könnten. In dem Gesetzentwurf mit der laufenden Nummer 8013 steht das aber nicht so, ist Penning, Schitz & Wurth aufgefallen. Zum einen soll die „autorisation d’exercer“ in Zukunft auch an moralische Personen vergeben werden dürfen. Sodass unklar ist, ob auch bei ihr Angestellte sie haben müssten. Zum anderen soll für ausländische Gesellschaften, die sich hier niederlassen wollen, nicht gelten, dass alle ihre Teilhaber/innen Gesundheitsheitsberufler sein müssen.

Wird damit eine Tür für Investoren geöffnet? In Deutschland werden immer mehr Arztpraxen von Finanzinvestoren aufgekauft. Eine Recherche für die Sendung „Panorama“ des Norddeutschen Rundfunks (7.4.2022) ergab, dass Augenarztpraxen offenbar besonders begehrt sind, da schätzungsweise jede fünfte im Nachbarland mittlerweile in Investorenhand ist. Drei Mal mehr als noch vor drei Jahren. Ähnliche Trends gebe es in Gynäkologie und Zahnmedizin. Der Präsident der deutschen Bundeszahnärztekammer klagte schon im August 2020 in der Berliner Zeitung Tagesspiegel, eine „Gesetzeslücke“ habe ein „Einfallstor“ für Hedgefonds und Private-Equity-Gesellschaften geöffnet.

Auf diese Zusammenhänge vor zwei Wochen angesprochen, meinte die Paulette Lenert, das EU-Recht und die „freie Zirkulation moralischer Personen“ ließen Beschränkung der Teilhaberschaft auf Gesundheitsberufler wahrscheinlich nicht zu (d’Land, 21.10.2022). Sie nehme diese Bedenken aber ernst und werde sie diskutieren. Ihr Gesetzentwurf scheint beim bisherigen Stand ausländischem Kapital aber keine weiteren Steine in den Weg zu legen. Die Ministerin geht prinzipiell davon aus, dass wasserdicht verfasste „Konventionen“ ausreichen würden, um das Luxemburger Gesundheitssystem zu schützen.

Doch vor allem in den Kliniken wären Probleme wohl absehbar. Zumal Lenert weiterging als die AMMD suggeriert hatte: Ihr hätte es gereicht, wenn Ärztegesellschaften ermöglicht würden. Die Ministerin will allen Gesundheitsberufen, auch Psychotherapeutinnen und Tierärzten, Hebammen oder Kinés, die Gesellschaftsbildung gestatten. Sodass zum Beispiel eine Gesellschaft mit Kinesitherapeuten als Teilhaber einen Facharzt für Orthopädie einstelen könntet. Oder eine Hebammen-Gesellschaft einen Gynäkologen. Und eine Krankenpfleger-Gesellschaft natürlich Krankenpfleger.

Weil die meisten Luxemburger Spitäler mit freiberuflichen Ärzt/innen funktionieren, die über einen Dienstleistervertrag an die Klinik gebunden sind, das nichtärztliche Personal dagegen festangestellt ist, hätte die FHL vielleicht gar kein Rechtsgutachten gebraucht, um sich vorzustellen, welche Komplikationen drohen, wenn demnächst die eine Klinikärztin zugleich Teilhaberin einer Gesellschaft ist, der andere Klinikarzt Angestellter einer Gesellschaft und ein dritter wie gehabt Freiberufler. Und wenn eines Tages sogar Pflegepersonal aus Gesellschaften kommt; sei es als deren Teilhaber, sei es als deren salariés. Verträge schlösse die Klinik dann als Firma mit Gesellschaften als Firmen. Wer wäre dann wem weisungsberechtigt im komplexen Betrieb Spital? Und während heute der Kollektivvertrag der Kliniken für das nichtärztliche Personal der wahrscheinlich günstigste im ganzen Land ist – müsste er um Klinikärzt/innen, die Angestellte einer Gesellschaft sind, erweitert werden?

Vermutlich nicht, deutet das Rechtsgutachten für die FHL an. Laut aktuell geltendem Arbeitsrecht wären bei einer Gesellschaft angestellte Mediziner/innen, die an eine Klinik geschickt würden, „entsandt“. Arbeitgeber bliebe die Gesellschaft. Dennoch blieben sie mit ihrer gesetzlich garantierten Therapiefreiheit verantwortlich gegenüber den Patienten. Aber wäre das auch dann so, wenn die Gesellschaft von einem Tag zum anderen entschiede, einen anderen Arzt an die Klinik zu schicken? Und was wäre, wenn die Gesellschaft beschließt, zu gehen, wie die Kardiologen im Norden? Vermutlich kommt die Idee der FHL, solche Gesellschaften könnten durchaus verboten werden, daher. Denn möglich ist ihre Bildung schon, wie die Anwälte von PSW analysieren, allerdings in einer juristischen Grauzone.

Peter Feist
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