Auch im ruhigen Luxemburg der Expat-Mittelklasse radikalisieren sich junge Männer im Netz. Einblick in den derzeitigen Terrorprozess

Dichotom

d'Lëtzebuerger Land vom 04.07.2025

Seit Dienstag und bis in die nächste Woche hinein wird die Affäre um den rechtsextremen Bombenbauer aus Strassen vor der Kriminalkammer des Bezirksgerichts Luxemburg verhandelt. Das Wort nannte das Verfahren zum Auftakt „die erste große Belastungsprobe für Luxemburgs Anti-Terror-Gesetzgebung“. Die schwerwiegenden Anschuldigungen sind juristisch umso komplexer, da Teile davon in die Minderjährigkeit des Angeklagten fallen.

Am Dienstagnachmittag, die Sonne drückt draußen in den Nacken, erscheint der junge Mann mit seinen Eltern und seinem Anwalt vor Gericht. Zurückhaltend, die Haare ins Gesicht fallend, im weißen T-Shirt und einer blauen Jeans setzt er sich in den Saal. Er wirkt nervös, versucht, keine einzige Information zu verpassen, schreibt alles nieder. Die Vorwürfe gegen den heute 23-jährigen Schweden beziehen sich auf Vorfälle aus dem Winter vor fünf Jahren. Im Februar 2020 fand die Polizei im Haus seines Vaters in Strassen, in dem sie gemeinsam wohnten, Chemikalien wie TATP und Nitroglyzerin, um Bomben herzustellen, ebenso wie Propaganda-Material der neonazistischen Organisation The Base. In den Monaten vor der Festnahme hatte er sich online mit anderen Terrorzellen vernetzt und verfasste Tutorials zum Bombenbau. Dahingehend hatte er einen Waffenschein beantragt und sich im Hesperinger Schützenverein engagiert. Nach der Sicherstellung des Materials kam er für acht Monate in Untersuchungshaft. Vorgeworfen werden dem Angeklagten, für den bis zu einem rechtskräftigen Urteil die Unschuldsvermutung gilt, Verstöße gegen das Antiterror-Gesetz, die Planung von Attentaten, die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation sowie Verstöße gegen das Waffengesetz.

Als der junge Mann am Dienstag das Wort ergreift, erklärt er, dass er seit Kindesalter an Chemie und Pyrotechnik interessiert gewesen sei. Heute studiere er in Stockholm Chemieingenieurwesen. Die Chatrooms, in die er mit 17 und 18 Jahren eingeladen worden sei, seien ein Weg gewesen, „Verantwortung“ zu übernehmen, und hätten ihm ein „Gefühl der Zugehörigkeit und des Respekts“ gegeben, sodass er sich nicht „allein vor dem Bildschirm“, sondern „mächtig“ gefühlt habe. Heute schäme er sich dafür, involviert gewesen zu sein.

Das deutsche Bundeskriminalamt erklärt, radikalen Gruppierungen gelinge es, junge Menschen „dort abzuholen, wo sie sind“. Da Jugendliche häufig auf Identitätssuche sind und emotionale Verletzlichkeit aufweisen können, sind sie besonders anfällig für Radikalisierung – und das in jedem Milieu. Der Professor für Security Studies Peter R. Neumann definiert den Prozess der Radikalisierung als „what goes on before the bomb goes off“. In diesem Kontext sind die Gutachten der Psychiater und des Psychologen, die vor Gericht aussagten, bedeutend. Sie umreißen die Biografie des Angeklagten: Er kommt aus gutem Hause, sein Vater arbeitet am Finanzplatz, seine Mutter in der Immobilienbranche. Er besuchte die International School Luxembourg, später die Europaschule. Er sei ein wenig nach dem Prinzip enfant roi erzogen worden, er könne der Meinungsfreiheit nach sagen, was er wolle, sagt der Psychologe. Die Eltern ließen sich scheiden, als er 16 wurde. Sein Vater heiratete eine Frau aus einem anderen Kulturkreis, was dem Sohn missfiel, denn er sei der Meinung, Kulturen sollten sich nicht mischen, erklärt der Psychiater.

Der Angeklagte begann einschlägige Literatur zu lesen: Siege von James Mason, dem Chefideologen der amerikanischen Neonazis, Hitlers Mein Kampf und das Manifest des Unabombers Theodore Kaczsynki sowie sein Buch Technological Slavery. Während seiner Untersuchungshaft erklärte er im Gespräch mit dem Psychiater, Homosexuelle müssten behandelt werden. Seine revisionistischen und rassistischen Ideen bekommt er in den Jahren vor seiner Festnahme im Online-Resonanzraum bestätigt. Während der Untersuchungshaft sucht er weiter den Kontakt mit Gleichgesinnten. Er soll weder psychiatrische noch psychologische Krankheitsbilder aufweisen, wirke kontrolliert, zugewandt, zielstrebig sowie etwas überdurchschnittlich intelligent. Mit zwölf Jahren sei er gemobbt worden und habe im Anschluss depressive Tendenzen entwickelt, ebenso wie Schwierigkeiten, Wut zu regulieren und Regeln zu befolgen, sagt der Psychologe. Als er auf Septième war, habe er aufgrund des Mobbings Alkohol getrunken und eine Nacht in der Jugendpsychiatrie verbracht, ein Umstand, den er banalisiere. Das Mobbing und die erfahrene Ausgrenzung könnten eine „emotionale Verletzlichkeit mit narzisstischer Wunde“ hinterlassen haben, erklärt der Psychologe. Seine Identitätsfindung sei zu diesem Zeitpunkt „nicht abgeschlossen“ gewesen; er sei auf der Suche nach „Leadership“ gewesen. „Dee Jong huet sech verrannt”, fasst der Psychologe zusammen. Der Vater beschreibt seinen Sohn als eine rigide Person, die ihre Meinung kaum ändert.

The Base, dessen Mitglied der Angeklagte war, ist ein 2016 gegründetes gewalttätiges Neonazi-Netzwerk, das sich in den USA entwickelte und in Kanada, Australien, Südafrika und Europa Zellen bildete. Die USA, Kanada, Großbritannien, Australien und die EU klassifizieren die Gruppierung als Terrororganisation. Die Ideologie hinter The Base ist der Akzelerationismus – der Wunsch, mit Massensterben einen Kollaps des existierenden Systems herbeizuführen. Im Herbst 2019 wurden User aus der schwedischen Green Brigade rekrutiert, die der Angeklagte mutmaßlich mitgegründet hat; dieses Netzwerk ist dem Ökofaschismus zuzuordnen. Ökofaschisten verbinden die Idee eines weißen Ethnostaates mit vermeintlichem Umweltschutz durch Gewalt. Sie sind beeinflusst von Theorien der Überbevölkerung, an der der globale Süden schuld sei, und vertreten strikte Anti-Migrationsansichten: Die Reinheit der Natur könne nur mit der Reinheit des weißen Volkes einhergehen. Blut und Boden in der Ära der Klimakrise. Aus dieser Weltanschauung erwächst der Wunsch nach einem Rassenkrieg, den die Anschläge provozieren sollen. Die kanadische Autorin Naomi Klein nennt den Ökofaschismus „Umweltschutz durch Genozid“. Die Attentäter von Christchurch und von El Paso beschrieben sich als ecofascists. Mehrere Festnahmen hatten in den USA bereits zu einer Schwächung von The Base geführt, als der Angeklagte Mitglied wurde. Mittlerweile erstarkt die Organisation wieder, wie die Vertreterin der Kriminalpolizei am Donnerstag vor Gericht ausführte. Grüne und vermeintlich naturnahe Rhetorik werden weiter von dieser Nischengruppe der radikalen Rechten genutzt.

Im Oktober 2019 setzte der Angeklagte mit seinem ein Jahr älteren Freund in Schweden eine stillgelegte Nerzfarm in Brand, eine Aktion, die nach außen mit Tierschutz motiviert wurde. Die Richter verhängten Bewährungsstrafen und rechtfertigten diese mit dem jungen Alter der Straftäter, einer vermeintlichen Abkehr vom Terrorismus und Geständnissen. Die Taten seien politisch und ideologisch motiviert, befand die Justiz dort 2021. Ebenso hatte er gemeinsam mit seinem Freund beabsichtigt, eine Abtreibungsklinik in die Luft zu jagen und eine Richterin zu ermorden. Für diese Taten waren unzureichend Hinweise auf einen tatsächlichen passage à l’acte gefunden worden, sie wurden nicht verhandelt.

Am Dienstag sagt auch ein Sprengstoffexperte aus. Er hat das geborgene Material analysiert, das der Angeklagte in der Garage und der Waschküche seines Elternhauses aufbewahrte, und kommt zum Schluss, dass es genug chemische Substanzen gab, um etwa ein Kilo Dynamit zu produzieren: unter anderem TATP und Nitroglyzerin. Es wurde Schutzmaterial gefunden und 15 Liter Urin, aus dem Harnstoff extrahiert und für Explosionen genutzt werden könne – außerdem Pakete, die mit Nägeln an Ted Kaczynskis Paketbomben erinnern. „Ich habe in zwanzig Jahren noch kein solches chemisches Labor gesehen“, sagt der Experte. An der Gefahr, die davon ausgehen könne, bestehe „kein Zweifel“. Der Angeklagte plante mehrere Anschläge an unterschiedlichen Orten: der Eurovision Song Contest war mit einer Chlorgasbombe visiert, das Stater Polizeikommissariat, Moscheen, Verkehrs- und Energienetze waren ebenfalls Optionen.

Eine Vertreterin der Anti-Terror-Einheit der Kriminalpolizei geht am Donnerstagmorgen auf die ideologischen Fundamente des Akzelerationismus ein und zieht Parallelen zu den Äußerungen des Angeklagten. Mit 14 Jahren drehte er ein Video, in dem er mit Ameisen einen Holocaust nachahmte, indem er sie in einer „Gaskammer“ in Brand setzte. In unmissverständlichen Chat-Nachrichten ruft er zum Mord an schwarzen Menschen auf, glorifiziert Vergewaltigung und lässt seinem Hass an LGBTQ-Personen freien Lauf. Mit 17 Jahren erstellt er Propagandamaterial, verbreitet aktiv die Ideologie, besucht ein Trainingslager und rekrutiert Mitglieder. Zum Zeitpunkt der Festnahme hat er mehr als 500 digitale Bücher, die alle um die Themen Waffen, rechte Ideologie, Survival und Guerrilla kreisen, und verehrt wie andere Mitglieder von The Base Attentäter wie den Christchurch-Shooter Brenton Tarrant oder den Charleston-Shooter Dylann Roof als Heilige. „Der Kampf war sein Lebensinhalt“, so die Ermittlerin. Er sei in diesem Moment „am Ende der Radikalisierungsspirale angekommen“ und habe sich „in einer Vor-Tat-Phase“ befunden. Aufgrund der äußerst dynamischen, verschlüsselten Online-Kommunikation von jungen motivierten Tätern werde es für die Polizei immer schwieriger, die Netzwerke zu überwachen. Während dieser Aufzählungen schreibt der Angeklagte mit und hört emotionslos seinem Übersetzer zu. In der Pause umarmt seine Mutter ihn. Nächsten Mittwoch wird er selber aussagen; der Polizei hatte er im Verhör gesagt, alles sei „nur ein Witz“ gewesen.

Insbesondere die Rolle, die die Eltern während der Radikalisierung spielten, bleibt in den ersten Tagen dieses Prozesses bisher wenig beleuchtet. Fotos von einem sehr kindlich wirkenden Teenager in SS-Uniform unterbanden sie nicht und hinderten ihn nicht daran, diese Tendenzen auszuleben. Auch habe der Vater dem Sohn kurz vor seiner Festnahme Ted Kaczynskis Buch Technological Slavery gegeben, seine Mutter soll ihm während seiner Untersuchungshaft vier Bücher mit antisemitischen Motiven gebracht haben.

Das Strafgesetzbuch sieht für Terrorismus als Gewalt am Staat hohe Strafen vor. Da niemand zu Schaden kam und es bei der Planung blieb, könnten leicht mildernde Umstände spielen. Auch der Umstand, dass ein Teil der Beschuldigungen mutmaßlich als Minderjähriger begangen wurden, könnte die Strafe mildern. Allein die Androhung von Terror zieht laut Artikel 135-2bis des Strafgesetzbuches Haftstrafen von ein bis acht Jahren sowie Geldstrafen nach sich.

Sarah Pepin
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