Bei der ersten Rentendebatte seit zwölf Jahren tat der Regierung niemand den Gefallen zu sagen, wo kürzen

Vielleicht einen Fonds einrichten?

Sozialministerin und Premier vor Beginn der Sitzung
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 21.03.2025

Eine gute Viertelstunde lässt LSAP-Fraktionspräsidentin Taina Bofferding sich am Mittwoch Zeit, ehe sie auf „unsere Verbesserungsvorschläge“ zu den Pensionen zu sprechen kommt. Eigentlich ist das langweilig, wo doch die Abgeordnetenkammer zum ersten Mal seit Dezember 2012 politisch über die Renten diskutiert. Aber die parlamentarische Konsultationsdebatte, die CSV-Sozialministerin Martine Deprez im Januar angefragt hatte, soll nur eine Veranstaltung unter anderen in der „breiten Konsultation“ zu den Renten sein, die noch bis Ende April dauern soll. Kein Wunder, dass die Opposition sich lieber nicht zu weit vorwagt. Bis zu den Sommerferien könnte die Regierung mit Vorschlägen aus der Deckung kommen. Vielleicht auch erst im Herbst, wie Deprez am gestrigen Donnerstag im Radio 100,7 andeutete. Und gleich zu Beginn des Interviews klarstellte, sie werde nicht verraten, worauf eine Reform hinauslaufen könnte. Das ist auch nicht spannend und wird zunehmend albern.

Doch mit Rentenreformen können sich Wahlen verlieren lassen. Mag sein, dass formateur Luc Frieden, CSV und DP, als sie 2023 in den Koalitionsverhandlungen die „langfristige Absicherung“ der Renten zum Vorhaben machten, den Wünschen von UEL und Handelskammer nachgaben. Nun aber kommt ein Handlungsbedarf auf, der akuter ist, als es der Regierung lieb sein kann. Falls tatsächlich schon nächstes Jahr die Ausgaben der Rentenkasse Cnap die Einnahmen aus Beiträgen übersteigen, wie es in Schätzungen steht, wäre die Regierung gezwungen, einen Gesetzentwurf zu schreiben, der die jährliche Anpassung der bestehenden Renten im Privé und der Pensionen im Public an die Reallohnentwicklung um mindestens die Hälfte kürzt. Es sei denn, die Kasse bekäme mehr Einnahmen. Weil die Feststellung, ob es nächstes Jahr tatsächlich soweit sein wird, erst 2027 gemacht werden kann und Anfang 2028 amtlich wird, müsste mitten im nächsten Wahlkampf eine Mini-Reform durchgezogen werden, die gegen die Leute im Ruhestand ginge. Um die elektoralen Risiken für die CSV klein zu halten, wird die Fahndung der Sozialministerin nach einem breede Konsens umso wichtiger.

Am Mittwoch im Kammerplenum hat das zur Folge, dass selbst die beiden Mehrheitsfraktionen nicht allzu deutlich werden, wie sie sich die „langfristige Absicherung“ der Renten vorstellen können. Vor allem ein Aspekt fehlt: Wo gekürzt werden könnte. Martine Deprez war Anfang vorigen Jahres in einem Land-Interview sehr deutlich geworden: Der über 40 Jahre gestreckte „Kürzungseffekt“ der Reform von 2012 solle vorgezogen, nicht erst 2052 voll wirksam werden, sondern schon 2035 oder „im Idealfall 2032“ (d’Land, 3.1.2024). Davon redet heute niemand mehr. Nur Premier Luc Frieden vielleicht, der sich in seinem Neujahrsinterview im RTL-Fernsehen das Rentensystem der Zukunft nach dem „Cappuccino-Modell“ vorstellte: Wo eine „Grondrent“ den „Grondsaz vu Kaffi“ bilde, betriebliche und private Zusatzversicherungen „Schlagsan“ und „Schokla“ darüber. Ein Jahr vorher hatte Martine Deprez dem Land gesagt, Zusatzversicherungen müssten „in der Architektur der Altersvorsorge eine größere Rolle spielen“. Ihre Attraktivität werde nicht zuletzt davon abhängen, was sich in der gesetzlichen Rentenversicherung ändert.

Die Fraktionen von CSV und DP sind am Mittwoch viel vorsichtiger. Betriebliche und private Zusatzversicherungen sollten weiter gefördert werden, erklärt Alex Donnersbach im Namen der CSV. Für die DP bittet Gérard Schockmel den Finanzminister, dazu „Vorschläge“ auszuarbeiten. Dass die Zusatzversicherungen dazu dienen sollen, in der öffentlichen Rentenversicherung Leistungen abbauen zu können, sagt niemand. Die Idee des um 20 Jahre vorgezogenen Kürzungseffekts der Reform von 2012 wird nicht erwähnt. Vielleicht ist sie vom Tisch. Alex Donnersbach erklärt, an der Anpassung der Rentenformel „bis 2052 halten wir fest“.

Aber solange die Regierung noch nicht mitgeteilt hat, wie sie vorgehen will, können in den Fraktionen der Mehrheit die Positionen zu den Renten im Fluss bleiben. Interner Dissens inklusive. CSV-Fraktionspräsident Marc Spautz zum Beispiel hatte am 27. November im RTL-Radio in einem „Face à Face“ mit dem LSAP-Abgeordneten Mars Di Bartolomeo unterstrichen: „Die Grundrente muss massiv erhöht werden.“ Liegt sie doch 300 Euro unter dem vom Statec ausgerechneten Referenzbudget. Dagegen teilt der rentenpolitische Sprecher Alex Donnersbach am Mittwoch mit, „in den Augen der CSV“ sei es „effizienter, soziale Hilfen besser an die Situation“ von Bezieher/innnen der Mindestrente anzupassen. Als die Grüne Sam Tanson von Spautz wissen will, wie das zu seinen Aussagen vom November passt, entgegnet der, er stehe dazu, und bittet, „zu warten, bis die Vorschläge der Regierung da sind“.

Die DP-Fraktion wirkt geschlossener. Zwar hatte ihr Präsident Gilles Baum dem Land vor einem Vierteljahr gesagt, „die Aufbesserung der kleinen Renten“ sei eine „Prämisse“. Er verband das mit der „sozialliberalen Linie“, die sich die DP in den zehn Jahren Koalition mit LSAP und Grünen erarbeitet habe; an der halte sie „absolut fest“ (d’Land, 13.12.2024). In der Debatte am Mittwoch nennt Gérard Schockmel, der rentenpolitische Sprecher, eine Mindestrentenerhöhung „zu simplistisch“. Er fragt: „Sollen Leute, die Teilzeit gearbeitet haben, so behandelt werden wie die, die voll gearbeitet haben und dennoch wenig bekommen?“ Da sei „gezielter zu helfen, gerechter als eine pauschale Erhöhung der Mindestrente“. So sieht das nun auch Gilles Baum: Die Mindestrente zu erhöhen, sei wie „mam Schlauch“ übers Land zu fahren.

Dass ausgerechnet Absagen an eine höhere Mindestrente zu den klarsten politischen Äußerungen der beiden Mehrheitsfraktionen zählen – eine weitere ist die Beibehaltung des legalen Renteneintrittsalters von 65 –, ist ziemlich schäbig. Aber plausibel. Wie der Soziologe Jens Beckert beschrieben hat, ist der Ruhestand der letzte Bereich „jenseits des Kapitalismus“ und mit der „Erwartung an eine stabilisierte, nicht-marktgetriebene Existenz“ verknüpft (Imaginierte Zukunft: Fiktionale Erwartungen und die Dynamik des Kapitalismus, 2018). Dass eine Regierungskoalition, die sich als business friendly beschreibt, die Erfüllung dieser Erwartung zu einem knappen Gut machen will, leuchtet ein.

Kaum überraschend äußern die linken Fraktionen der Opposition sich zu Kürzungen insofern, als sie dagegen sind. Die LSAP würde stattdessen „neue Finanzierungsquellen erschließen“, die Grünen auch. Etwa durch eine „stärkere Besteuerung hoher Kapitalgewinne und hoher Vermögen“, oder auf Automatisierung und KI. Für déi Lénk bringt Marc Baum die Idee vor, den Cotisatiounsplaffong vom fünffachen Mindestlohn abzuschaffen, ohne dass es auf die dann höheren Beiträge mehr Rente gäbe. In den drei Spezialregimes des öffentlichen Sektors (Staat, Gemeinden und CFL) würde déi Lénk das auch so machen: Baum behauptet, ein Lycéesproff bekäme dadurch nicht weniger Pension. Allenfalls „d’Madamm Minister oder den Här President oder den een oder aneren Deputéierten“ könnte etwas einbüßen.

Dass darauf kurz Heiterkeit im Plenarsaal aufkommt, ist vielleicht Ausdruck der Fähigkeit der Abgeordneten zur Selbstironie. Oder alle sind Baum dankbar, dass er das heikle Thema „Pensionen im öffentlichen Sektor“ angerissen, mit einer Spitze versehen und dann beiseitegelegt hat. Denn wenn alle in einem Ansatz übereinstimmen, dann darin, die Finger von dem 1998 geschaffenen Übergangsregime im Public zu lassen, wo noch bis Mitte der 2040-er Jahre neue Pensionen vergeben werden, die brutto bis zu fünf Sechstel der letzten Bezüge betragen können. Einem Schreiben des Ministeriums des öffentlichen Dienstes konnten die Mitglieder des parlamentarischen Gesundheits- und Sozialausschusses entnehmen, dass 93 Prozent der laufenden Pensionen ehemaliger Staatsbeamter ins Übergangsregime fallen und knapp 82 Prozent der voriges Jahr neu zuerkannten Pensionen. Da das Übergangsregime erst seit Anfang 1999 gilt, überrascht das nicht. Aber es geht um viel Geld: 2024 wurden dem Pensions-Spezialfonds im Staatshaushalt 1,29 Milliarden Euro für Leistungen an 13 944 Pensionsempfänger entnommen (arithmetisch 92 500 Euro pro Person). Dazu musste der Spezialfonds mit 904,3 Millionen aus der Staatskasse dotiert werden, denn abgesehen von den acht Prozent Beitrag auf die Beamtenbezüge bleibt als Einnahmequelle nur die Staatskasse. Bis 2028, schätzt das Ministerium, dürften die Ausgaben auf 1,56 Milliarden steigen und der Zuschussbedarf aus der Staatskasse auf 1,12 Milliarden Euro.

Klar wird am Mittwoch nicht, ob CSV und DP vor allem den öffentlichen Sektor im Blick haben, als sie einen staatlich kontrollierten „Fonds“ einzurichten vorschlagen, in den alle zur Altersvorsorge einzahlen könnten. Pirat Sven Clement spricht auch von einem „Fonds“. Gérard Schockmel von der DP stellt sich vor, dass er, „nach dem Vorbild“ des Kompensationsfonds der Cnap funktionieren würde: „Der Staat bezöge daraus keine Rendite, sie käme allein den Leuten zugute.“ Vielleicht soll das ein Wink an die CGFP sein, dass damit ein Betriebsrentenregime für den öffentlichen Dienst entstehen könnte. Zu den bisherigen Bekenntnissen der Regierung – und von CSV und DP am Mittwoch –, Betriebsrenten und private Zusatzrenten weiter stärken zu wollen, passt es schlecht.

Abgesehen davon, dass die ADR sich besonders radikal empfiehlt und zum Kapitaldeckungsverfahren übergehen würde, ist die Konsultationsdebatte mangels einer klaren Fragestellung am Ende vor allem eine Gelegenheit, sich an der LSAP zu reiben. Für die Mars Di Bartolomeo als Sozialminister die Reform von 2012 verantwortet hatte. In der steht, dass die Jahresendzulage, die vor allem kleine Renten aufbessert, abgeschafft wird, sobald die Ausgaben der Cnap die Beitragseinnahmen übersteigen. Und dass per Spezialgesetz die Anpassung der Renten und Pensionen an die Reallohnentwicklung um mindestens die Hälfte gekürzt wird. „Mir wäre das an Mars Di Bartolomeos Stelle peinlich“, sagt der Linke Marc Baum und grinst in Richtung des Sozialisten. Den regt das ziemlich auf. Martine Deprez bemerkt in ihrem Schlusswort cool, „der Finanzierungsvorbehalt der Rentenanpassung ist nicht von dieser Regierung“. Die führe ihn nur aus, wenn es soweit sei.

In der kurzen Aufregung um das ajustement geht unter, dass die DP nun findet, „das Gesetz von 2012 soll spielen“. Im Dezember gegenüber dem Land hatte Gilles Baum sich noch anders verstehen lassen: „Wer schon in Pension ist, soll behalten, was er hat.“ Das schließe „per Deduktion“ das ajustement ein – wegen des sozialliberalen Profils der DP. Vielleicht war Baum damals nicht bewusst, dass die Kürzung der Anpassung sich nur vermeiden ließe, wenn der Rentenkasse mehr Geld zugeführt wird. Wovon die DP nichts hält, für die CSV wäre es die „letzte Option“. Die DP sei den Positionen der CSV ziemlich nah, oder?, wird Martine Deprez am Tag nach der Debatte im 100,7 gefragt. „Gott sei Dank!“, erwidert die Ministerin.

Peter Feist
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