Am Ende steht die Stille

d'Lëtzebuerger Land vom 05.12.2025

Mit Babyphone bringt Guy Rewenig seinen Erzählzyklus Geschichten an Erzielungen in luxemburgischer Sprache zu Ende. Nachdem im Mai der Kurzgeschichtenband Mir fällt ein Stein vom Herzen und zertrümmert meinen dicken Zeh erschienen ist, kehrt der Autor nun zu Kurzgeschichten auf Luxemburgisch zurück. Die Leser finden sämtliche Ingredienzen eines typischen Rewenig-Bandes: Kafkaeske Situationen, sture Figuren, dysfunktionale Familienverhältnisse und beißender Sarkasmus wechseln sich in humoristischen und tragikomischen Erzählungen ab. Wie gewohnt, verbirgt sich hinter den absurden Episoden eine pointierte Gesellschaftskritik.

Ein Leitmotiv, dass der Band auf verschiedenste Weise variiert, ist die Auseinandersetzung mit den kommunikativen Funktionen von Sprache. Sie ermöglicht Orientierung in der Welt, fungiert aber auch als zentrales Element zwischenmenschlicher Beziehungen. Rewenig interessiert sich primär dafür, was passiert, wenn sie ihres semantischen Gehalts entleert wird. In Schwaarz lässt er einen Journalisten in immer bizarrere Situationen geraten, in denen die Sprache ihren referentiellen Charakter verliert und keinen ordnenden Zugriff auf die Umgebung mehr ermöglicht. In anderen Erzählungen wird jedes Wort sprichwörtlich auf die Goldwaage gelegt. So mokiert sich der Autor in Broch über die Kapitalisierung der Psyche in der modernen Therapiegesellschaft. Patient und „Zischoteerapööt“ therapieren einander am Ende gegenseitig, bewegen sich jedoch im Kreis. In der Frage: „Bezuelt Dir cash oder mat der Kart?“ spiegelt sich die Ökonomisierung selbst der absurdesten Sprachhandlungen. An anderer Stelle benennt ein Supermarkt sein bisheriges Sicherheitskonzept in „Safety by Tactical Appearance“ um, um dem Zwang der Optimierung durch Anglophonisierung zu entsprechen. In Cambrioleur besteht ein Einbrecher auf dem semantischen Unterschied zwischen „Abriecher“ und „Cambrioleur“, während er seinem gefesselten und geknebelten Opfer eine Therapiestunde hält.

So unterhaltsam solche sprachsemantischen Spielereien auch sind, erschöpfen sie sich doch mitunter schnell. Die größte Wirkung entfalten jene Erzählungen, die dysfunktionale Familienverhältnisse in den Mittelpunkt rücken. In der titelgebenden Kurzgeschichte Babyphone wird ein ausgemustertes Babyphon zum Katalysator eines sich immer weiter zuspitzenden Familienkonflikts. Was ursprünglich der Überwachung des Kindes diente, verwandelt sich in ein Instrument der Selbstbestimmung: Durch Zufall hört die sechzehnjährige Tochter einen Streit zwischen ihrem narzisstischen Vater und ihrer Mutter mit, die sich bis zur Selbstverleumdung aufopfert, mit ihrer Fürsorge aber die Tochter erdrückt. Die beschließt, die ungleichen Machtverhältnisse in der Familie auf den Kopf zu stellen.

Der Band brilliert dort, wo sich hinter der Absurdität die Abgründe einer zutiefst einsamen Existenz und die Suche nach menschlicher Anteilnahme offenbaren. Etwa in Sécher, der wohl gelungensten der Kurzgeschichten. Jeden Tag berichtet der Protagonist seiner verstorbenen Frau auf dem Friedhof von seinem Alltag. Der Rückblick auf die gemeinsamen Ehejahre ist von Streit und gegenseitiger Unzufriedenheit geprägt. In typischer Rewenig-Manier überlagern sich individuelle und gesellschaftliche Konflikte. Die dem Protagonisten verhassten Urlaube mit seiner Frau auf Palma loten die Schattenseiten des Massentourismus aus, ein Thema, das Rewenig schon in seinem letzten Erzählband verhandelt hat. Wiederholt kreuzen sich die Wege des Ehepaars mit betrunkenen Partytouristen. Dies lässt sich als Symbol einer Wohlstandsgesellschaft lesen, die sich ritualhaft am Konsum beteiligt, der seine erholsame Wirkung jedoch längst verloren hat. Weitaus reizvoller ist jedoch das Beziehungsgeflecht, das sich darin spiegelt. Der jährliche Urlaub ist Teil der Routine eines Ehepaars, das sich nicht aus der quälenden Mittelmäßigkeit seiner Existenz zu lösen vermag. Dennoch ist dem Protagonisten mit dem Tod seiner Frau der Lebensinhalt entglitten. Die erzählerische Meisterleistung liegt dabei darin, dass die wahre Tragik in dem nebenbei Gesagten durchscheint, in den Sätzen, die für die Figuren selbstverständlich zum Alltag gehören. Der Alkoholismus des Protagonisten lauert als vager Schatten in den Bitten seiner Ehefrau, mal nicht bereits am Vormittag zu trinken, oder beim Familienessen, wenn der Sohn dem streitlustigen Vater damit ins Wort fällt, dass er wieder einmal nach Schnaps rieche.

Gestützt wird all dies durch die dialogische beziehungsweise monologische Form der meisten Geschichten. Sie setzt dem Leser die hermeneutischen Scheuklappen auf. Ohne auktoriale Erzählinstanz verliert er die Orientierung und muss die verstreuten Hinweise aus den Worten der Figuren selbst herausfiltern. So verhält es sich auch in Dräi gutt Grënn, eng Méimaschinn mat an d’Vakanz ze huelen: Zwei Pensionierte treffen sich einmal wöchentlich im Café, um der Einsamkeit zu entfliehen. Immer wieder erzählt einer der beiden vom bevorstehenden Urlaub mit seiner Frau und dem titelgebenden Rasenmäher, den er mitzunehmen gedenkt, bis ihn sein Gegenüber daran erinnert, dass seine Frau längst gestorben ist: „– Muer kënnt se. – Wien? – Meng Fra. – Deng Fra ass doud, Lauritzen. – Mengs de? – Scho fënnef Joer.“ Der Einwand ist bald vergessen, der Urlaub mit der Frau bleibt ein konstantes Thema in den Gesprächen.

Diese Tragik, die sich zwischen den Zeilen des Alltäglichen verbirgt, macht die Stärke des Bandes aus. Einerseits dient die Sprache lediglich der Übertönung der Stille, um die eigenen Abgründe zu vergessen, gleichzeitig ist sie auch das letzte Bindeglied zwischen Existenzen. Und so reden die Figuren gegen das Rauschen der Stille an, versuchen, so den Tod zu bannen. Dennoch bleibt als einziges Gegenüber zum Schluss eine Sexpuppe, ein düsteres Fazit der Entfremdung in der modernen Gesellschaft. Am Ende steht die Stille.

Guy Rewenig, Babyphone, Éditions Guy Binsfeld, 384 Seiten

Sophie Modert
© 2025 d’Lëtzebuerger Land