Der stationäre Buchhandel steht unter Druck. Die Ernster-Filialen, Alinéa und Promoculture erzählen, wie sie sich neu erfinden und was hierzulande gelesen wird

Bestseller, Luxemburgensia und Graphic Novels

Der neue Alinéa Buchladen in der Kapuzinerstraße
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 16.02.2024

An diesem Montagnachmittag wuseln fünf Personen durch den Ernster-Buchladen am Knuedler. Eine Frau mit gewellten, roten Haaren sagt zu einer Freundin: „Das Buch muss ich einem Arbeitskollegen kaufen, er interessiert sich für Luxemburger Geschichte.“ D’Amerikaner zu Lëtzebuerg ist auf dem Einband ist zu lesen. Darauf abgebildet sind amerikanische Soldaten, die Bier trinken. An der Kasse erkundigt sich eine Fünfzigjährige, wie man Bücher über das Ernster-Onlineportal bestellen kann. „Ganz einfach“, antwortet ein Verkäufer. Im Schaufenster liegen Neuerscheinungen und Bestseller, die sich mit dem zweiten Weltkrieg in Luxemburg befassen. Jean Fohrmann: Lebenserinnerungen, eine von Alex Bodry über seinen Großvater verfasste Biografie, die zugleich historische Details über Düdelingen aufbereitet, wird mit mehreren Postern beworben. Vom Diekircher Militärmuseum hat die Filiale sich eine Militär-Uniform ausgeliehen, um das Schaufenster thematisch zu untermalen.

Die Ernster-Buchhandlungen verhelfen Luxemburger Verlagen zu mehr Sichtbarkeit. Darauf sind diese angewiesen, denn auf dem Portal des Handelsriesen Amazon gehen sie unter. 80 bis 90 Prozent des Bücherverkaufs erfolgen über die hiesigen Buchhandlungen, heißt es aus dem Verlagswesen. Andere Verkaufsgelegenheiten bieten die Walfer Bicherdeeg, das Bettemburger Literaturfestival und Leseveranstaltungen. Für die Buchhandlungen lohnt sich die Zusammenarbeit mit den luxemburgischen Verlagen ebenso, etwa 15 bis 20 Prozent des Verkaufsanteils wird ihnen zugerechnet. „Aber es bestehen große Unterschiede zwischen den Filialen. Im Shoppingzentrum Belle-Etoile und in den Verkaufsstellen im Norden des Landes sind Bücher aus Luxemburg gefragt. In dem neuen Geschäft im Shoppingzentrum Cloche d’Or hingegen kaufen überwiegend frankophone Grenzgänger und Expats ein, dort fällt der Verkauf von Luxemburgensia in den einstelligen Bereich“, erklärt Paul Ernster, der als Projektmanager im Familienunternehmen arbeitet. Wie sein Vater Fernand Ernster hat auch er Erfahrungen in großen deutschen Buchhandlungen gesammelt, um aktuelle Trends im Buchwesen zu verfolgen (und zum größten Buchhandelsunternehmen Luxemburgs zu avancieren).

Dass eine Ernster-Filiale von 950 Quadratmetern im Shoppingzentrum Cloche d’Or eröffnet hat, ist kein Detail. Sie zeigt, dass der Buchhandel trotz E-Books und Amazon nicht eingegangen ist: Als Fernand Ernster in den 1990-er-Jahren nach einer Niederlassung im Auchan auf Kirchberg sondierte, wurde ihm gleich zu Beginn signalisiert, man wolle von Büchern nichts wissen. Die Marktstudie des Shoppingzentrums Cloche d’Or kam hingegen zu einem anderen Schluss. Bücherhandlungen sorgen für eine entschleunigte Atmosphäre – vielleicht haben die Leiter der Marktstudie dies bedacht. Buchläden seien in gewisser Weise mit Bibliotheken vergleichbar, sagt Laurent Bevi, Angestellter der Ernster-Filiale am Knuedler. „Si sinn ee Refuge“. Personen, die einfach nur Redebedarf haben, wie Altenheimbewohner, schauten regelmäßig vorbei. Andere kämen, um einfach kurz in den Regalen zu stöbern, ohne unbedingt ein Buch kaufen zu wollen. „Fir eis ass dat schéin, dat weist déi mënschlech Säit vun enger Librairie. Et ass agreabel, hei ze schaffen“, schlussfolgert der Bücherliebhaber Bevi. Oft kämen sich zunächst Unbekannte über Bücher miteinander ins Gespräch.

Neben Luxemburgensia bilden das Kerngeschäft der Ernster-Filialen Bestseller. „Vor allem die Sieben-Schwestern-Serie von Lucinda Riley verkauft sich wie Butter. Kaum aus dem Laden beginnen manche Käufer die Lektüre auf dem Bürgersteig“, beobachtete Bevi. Das Erfolgsrezept der irischen Autorin Lucinda Riley, die vor zwei Jahren an Krebs gestorben ist, basiert darauf, dass sie an der gesamten Emotionen-Palette rum mixt: Hoffnung, Angst, Schmerz, Liebe. Das Ganze vermischt sie mit Mythen um das Siebengestirn der Plejaden und starken Frauen-Figuren. „Ebenfalls gefragt sind die Kriminalromane von Jörg Bong, der unter dem Pseudonym Jean-Luc Bannalec über Fälle schreibt, die der von ihm erfundene Kommissar Georges Dupin löst“, erläutert Bevi. Die meisten Geschichten spielen in der Gegend um Concarneau und dem Golfe du Morbihan – Orte in der Bretagne, die der aus Paris stammende Kommissar Dupin mit den Lesern gemeinsam entdeckt. Die Gegend kann nun den Verkaufserfolg der Kriminalromane monetisieren – immer mehr Touristen zieht es aufgrund der Ortsbeschreibungen in die Bretagne.

„Das gleiche Phänomen erleben wir auch in Luxemburg. Tom Hillenbrands Romane, in denen der Koch Xavier Kieffer Mordfällen nachgeht und in denen das luxemburgische Gastromilieu beschreiben wird, stoßen bei Einheimischen und Touristen auf Anklang. Ladenkunden erzählen uns, dass sie gezielt Orte aufsuchen, die in Hillenbrands Büchern beschrieben werden“. Unter den Kassenschlagern befinden sich ebenfalls Sachbücher mit einer unverkennbaren Ortsverankerung: Unter anderem 111 Orte in Luxemburg, die man gesehen haben muss von Joscha Remus und Michel Paulys Geschichte Luxemburgs führen die Liste an. „Seit Jahren steigt zudem die Nachfrage für Schwätzt Dir Lëtzebuergesch, ein Sprachlernbuch, das in Luxemburgischkursen zur Anwendung kommt. Überhaupt nimmt das Interesse an Büchern zum Spracherwerb zu“, analysiert Bevi. Aus der Managerebene heißt es von Paul Ernster noch, dass seit einigen Monaten die Verkaufszahlen für Bücher, die sich ums Wohlbefinden drehen, steigen. Man kann hier nur spekulieren: Hätte sich deren Boom nicht eher während der Pandemie oder dem Inflationsschock 2022 ereignen müssen? Auf der Ernster-Homepage werden als bestverkaufte Bücher derzeit La déclaration d‘impôt 2024 und ein Gaston-Comic aufgelistet.

Ein paar Straßen vom Ernster am Knuedler entfernt befindet sich die Buchhandlung Alinéa in der Kapuzinerstraße. Im Seitenschaufenster stehen englischsprachige Titel zum Black History Month, der in den USA und Kanada alljährlich im Februar stattfindet. „Ich befasse mich intensiv mit dem englischen Buchmarkt, der hierzulande am Wachsen ist“, erläutert die Co-Geschäftsführerin Ava Najafi. Regelmäßig postet sie ihre Empfehlungen in den sozialen Medien wie The Things We Do to Our Friends, ein Roman über obsessiv ehrgeizige Studierende. Deshalb rückt die Buchhandlung Alinéa zunehmend von dem Bild der französischsprachigen Buchhandlung ab, obwohl die Sprache des südlichen Nachbarlandes die Liste weiterhin anführt. Vor allem Jugendliche lesen überwiegend englische Romane und über BookTok gehen englische Autoren viral. „Allerdings finden nicht unbedingt die besten Bücher Anklang. Rezent kam es zu einem Hype um die Autorin Colleen Hoover, die toxische Beziehungen romantisiert.“ Vor fünf Jahren war es ruhig um die Jugendliteratur, „zum Glück hat sich dieser Trend gedreht“, meint Ava Najafi. An der Kasse informiert ein rosa Flyer über den Jugendliteraturpreis Prix Laurence – Alinéa will die Jugendliteraturszene aktiv unterstützen. Wie auch in der Librairie Ernster ziehen gedruckte Bücher an diesem Spätwintertag Kunden an; acht Personen ziehen Bücher aus den Regalen.

Nachdem die Schwestern Ava und Elmira Najafi den Laden 2019 von Edmond Donnersbach übernommen hatten, begannen sie die Bücherregale durchzugehen: „Über die Jahre hatten sich mittelmäßige Werke angesammelt, die keinen Käufer mehr finden werden. Wir verbrachten Monate mit Aufräumen – eine Mammutaufgabe“. Dem forum teilte Edmond Donnersbach mit, dass er 50 000 Titel führe. Viele Romane legte er zugleich auf Deutsch und Französisch aus, ein Alleinstellungsmerkmal das ordentlich Platz beanspruchte. Als Alinéa in die Geschäftsfläche an der Kapuzinerstraße einzog, gab es das mehrsprachige Sortiment eines gleichen Titels auf und speckte auf 20 000 Titel ab. „Der Laden ist zwar kleiner aber sichtbarer; Laufkundschaft bleibt hier nicht aus und es kommen mehr Touristen als zuvor“, analysiert Ava Najafi. Werke, die eine hohe Nachfrage erzielen, sind jene die mit dem Servais-Preis, Deutschen Buchpreis oder dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurden. „Anahnd ausgeschnittener Zeitungsartikel wird manchmal auf einen Buchwunsch verwiesen. Als Germaine Goetzingers Biografie über Aline Mayrisch erschien, schneiten Kunden die Buchrezension in der Hand haltend rein“, erinnert sich die Geschäftsleiterin. Neben veröffentlichten Rezensionen steige die Nachfrage, wenn über einen Autor berichtet wird, wie letzte Woche nach dem Tod von Robert Badinter. Dauerbrenner sind Comics, Graphic Novels und luxemburgische Kinderbücher.

Bis zu einem Drittel macht der Verkauf von Schulbüchern in kleineren Buchhandlungen aus. Ein Markt an dem sich Alinéa jedoch nicht beteiligt. „Schulbücher nehmen viel Platz ein und deren Margen liegen bei 15 Prozent, während sie bei anderen Büchern bei circa 35 liegen“, meint die Geschäftsführerin. Alinéa setzt auf Qualitätsbücher und bekannte Namen – von letzeren bestellt sie in einem ersten Anlauf 150 bis 200 Bücher. Für weniger bekannte Neuerscheinungen hält man nicht mehr als zehn Exemplare parat, Klassiker und Standardwerke stehen nur einmal im Regal. Neuerscheinungen werden zumeist lange im Voraus bestellt, die großen deutschen Verlage haben bereits ihre Bestellungskataloge für 2025 vorbeigebracht. Sie sind sehr präsent auf dem Luxemburger Markt; Nachbestellungen werden innerhalb eines Tages geliefert. Französische Verlage hingegen beliefern die luxemburgischen Buchläden nur einmal pro Woche. Das verleiht dem stationären Geschäft einen Nachteil gegenüber dem Onlineversand.

Auf einen Onlineshop verzichtet Alinéa – es gehe auch ohne. Mit dem Aufkommen von Amazon begann Ernster seinerseits in ein Onlinebestellungsportal zu investieren. Etwa zehn Prozent des Verkaufs wickelt Ernster online ab. Dabei werden nur sehr wenige E-Books bestellt. Der Impakt von Amazon ist für die Branche schwer zu messen; der Sektor schätzt, dass der Verkauf doppelt so hoch sein könnte, gebe es die Konkurrenz des Riesenkonzerns nicht. Auf Land Nachfrage, antwortete Amazon, man wolle keine Daten über den Bücherversand nach Luxemburg preisgeben; wer sich einen Eindruck von der Nachfrage machen wolle, solle die Bestsellerliste von Amazon Frankreich und Deutschland konsultieren. Aber nicht nur Amazon ist eine Konkurrenz für den stationären Buchhandel. Den neuen Asterix-Band beispielsweise kann Auchan hierzulande aufgrund seines Vorrats günstiger anbieten als die Buchläden. In Frankreich und Deutschland ist dies wegen der Buchpreisbindung – also einem gesetzlich verbindlich geltenden Preis – nicht möglich. Zwar finden derzeit Gespräche statt, um auch hier eine Buchpreisbindung einzuführen, aber bisher ist nichts Konkretes bekannt.

„Als Albert Daming 1972 die Buchhandlung Promoculture eröffnete, legte er den Fokus auf wissenschaftliche Bücher, weil das damals eine absolute Lücke war“, erklärt Maggy Fratini, die seit den 1990-er-Jahren in dem Bücherladen arbeitet und ihn seit 2012 weiterführt. Laufkundschaft kehrt in der Rue André Duscherer wenig ein. Der Buchladen Promoculture liegt etwas versteckt hinter dem Pariserplatz. Aber er hat sich einen Namen gemacht bei Personen, die nach juristischen, medizinischen und psychotherapeutischen Fachbüchern suchen. Georges Ravaranis La responsabilité civile des personnes privées et publiques ist ein gefragtes Standardwerk. „Hier steht die Biografie von Dschingis Kahn oder auch noch Hannibal – Geschichtsbücher finden oft ihre Kunden. Und mittlerweile verkaufen wir mehr Romane als zu Anfangszeiten“. In dem Buchladen Promoculture befinden sich überwiegend französische Titel, „aber das Englische nimmt zu“. Die Kunden bestellen nun vermehrt über Internet und nehmen ihre Bücher an der Haustür entgegen oder sie kaufen die Bücher von Promoculture an Büchertischen, erwähnt Fratini. „Zwei bis dreimal im Monat bin ich auf Konferenzen und Lesungen mit einem Büchertisch zugegen.“ Sie zieht Sacha Bachims Therapie to go raus – ein Spiegel-Bestseller. Der Luxemburger Verhaltenstherapeut hält häufig Vorträge an Fachtagungen. Nächsten Monat gibt Bernhard Schlink eine Lesung auf einer Veranstaltung des IPW; Fratini zieht ein Stapel Bücher des Autors hervor, auf dem zwei Liegen an einem Pool abgebildet sind. Man merkt, dass sie keinen Zweifel hegt, dass der Stapel sich bald dezimieren wird.

Die Geschäftsinhaberin von Promoculture hat in der Rue Duscherer einen Tisch mit Gartenbüchern aufgestellt. Geht sie mit den Jahreszeiten? „Nein, das Angebot ist neu. Mir wurde mittgeteilt, es sei nicht einfach, gute Bücher übers Gärtnern zu finden.“ In das Geschäftsmodell des Ladens funkt derzeit allerdings der Wandel der wissenschaftlichen Publikationsprinzipen dazwischen. Früher war der Laden eine feste Adresse für Studierende, „aber heute wird am Computer gelernt“. Viele wissenschaftliche Fachdiskussionen finden zudem in Monografien keinen Niederschlag mehr, sondern werden in Peer-Reviewed-Artikeln verhandelt, die oft nur noch online erscheinen. Einige Forschungsfonds pochen außerdem vermehrt darauf, dass – nach dem Gebot der Fairness – mit Steuergeldern finanzierte Forschungen als Open Access jedem frei zugänglich sein sollen. Zugleich wächst das Angebot der Bibliotheken – bequem von zu Hause aus kann man sich in ihr E-Book-Angebot einloggen.

Wie im Laden, so in der Bib

Weichen die Ausleihvorlieben in den Bibliotheken stark von dem Kaufverhalten ab? Wer sich mit Tamara Sondag, Bibliothekarin der Escher-Kommunalbibliothek unterhält, stößt auf ein ähnliches Interesse als in Buchhandlungen: Weit vorne liegen deutsche und französische Titel, bei 45 beziehungsweise 43 Prozent. „Aber das Englische ist am Kommen. Vor allem Jugendliche lesen englische Werke im Original“, erklärt sie. Und man könne Jugendlichen keinesfalls eine Bücheraversion attestieren – 500 Neueinschreibungen verbucht die Escher-Bibliothek jedes Jahr; dabei entfallen die meisten Einschreibungen auf die 10- bis 19-Jährigen. Sie leihen vor allem Mangas, Comics und Fantasy-Serien aus. Bücher über und aus Luxemburg machen in der Escher Kommunalbibliothek drei Prozent aller Ausleihen aus. „Die Bibliotheksangestellten versuchen auf luxemburgische Autoren aufmerksam zu machen, aber die Nachfrage orientiert sich zuvorderst an Servais-Preis-Gewinnern“, so Sondag. „Eben weil diese Bücher über Zeitungen und die RTL-Homepage bekannt werden. Das gleiche Phänomen erleben wir ebenso in Bezug auf französische und deutsche Titel.“ Auch die Nationalbibliothek bleibt von diesem Phänomen nicht verschont: 2021 war der am meisten gefragte Buchtitel Anéantir von Michel Houellebecq. In den elf Bibliotheken, die gemeinsam einen E-Book-Verleih anbieten, waren 2021 das im Feuilleton der großen Zeitungen auf und ab besprochene Sapiens: A Brief History of Humankind und der Goncourt-Gewinner L’anomalie aufgelistet. „Wir sind zudem überrascht, dass trotz Sprachen-Apps, der multimediale Sprachkurs Le Luxembourgeois à grande vitesse von Assimil, der meistausgeliehenste Titel aus der Mediathek ist“, heißt es von Christine Kremer, BNL-Mitarbeiterin. Und wie auch Maggy Fratini konstatiert man einen Run auf juristische Titel: Thierry Hoscheits Le droit judiciaire privé au Grand-Duché und das Strafgesetzbuch aus dem Jahr 2020 waren 2021 die am häufigsten ausgeliehenen, sich mit Luxemburg befassenden Werke in der BNL. Erklären lässt sich dies leicht: Luxemburg zählt viele Studierende der Rechtswissenschaften und hat sich international einen guten akademischen Ruf in diesem Fach erarbeitet. Zudem befindet sich der Gerichtshof der Europäischen Union auf Kirchberg.

Stéphanie Majerus
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