Die ersten drei Monate seit dem Amtsantritt der neuen CSV-DP-Regierung waren aufregend und stürmisch. Für sie und für das ganze Land

True Romance

Xavier Bettel und Luc Frieden Mitte November im Parlament
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 16.02.2024

Liebe Während die Burgen verbrannt und die Nächte langsam wieder kürzer werden, draußen die ersten Schneeglöckchen zaghaft sprießen, läuft allmählich die 100-Tage-Frist ab, die Me-
dien und Opposition einer neugewählten Regierung traditionell gewähren, um sich einzugewöhnen und sich in ihrer Rolle zurechtzufinden. CSV-Premierminister Luc Frieden hatte auf dem Neujahrsempfang für die Presse die Journalist/innen bereits gewarnt, dass ihm diese Frist nicht wichtig sei und er sie nicht als Anlass sehe, um Interviews zu geben. In zwischenmenschlichen Beziehungen gelten die ersten drei Monate als Gradmesser für den weiteren Verlauf, als Indikator dafür, ob die Verbindung längerfristig hält oder nicht. In einer repräsentativen psychologischen Studie haben Forscher/innen vor einigen Jahren herausgefunden, dass Paare, die sich nach einer gewissen Zeit wieder trennen werden, bereits in der Anfangsphase unzufriedener sind und häufiger streiten.

Formateur Luc Frieden hatte nach den Wahlen vom 8. Oktober die politische Zusammenarbeit zwischen CSV und DP auf eine spirituelle und affektive Ebene gehoben, als er den „Geescht vu Senneng“ beschwor, die guten zwischenmenschlichen Beziehungen und die „natürlichen“ Gemeinsamkeiten zwischen seiner Partei und der seines Vorgängers Xavier Bettel betonte. Liebe auf den ersten Blick war es nicht, hatten Bettel und Claude Meisch sich doch als Abgeordnete maßgeblich dafür eingesetzt, dass es 2013 wegen der Geheimdienst-Affäre zu Neuwahlen kam. Als sie anschließend eine Koalition mit LSAP und Grünen eingingen, machten sie Luc Friedens Traum, Jean-Claude Juncker als Premierminister zu beerben, einstweilen zunichte.

Die Liberalen waren 2023 in den Super-Wahlkampf gezogen, um die Dreierkoalition fortzuführen. Erst als nach den Gemeindewahlen absehbar wurde, dass die Grünen an Zustimmung verlieren würden und das Dreierbündnis wohl nicht mehr zu retten sein werde, erwiderte Xavier Bettel allmählich die Avancen seines Kontrahenten von der CSV. Nicht aus Liebe oder wegen natürlicher Gemeinsamkeiten, sondern aus politischem Opportunismus.

Bei den Koalitionsverhandlungen spürte Frieden den Geist von Senningen wesentlich stärker als der einstige Brückenbauer und Klimapremier Bettel, der sich in seine neue Rolle erst einfinden musste. Von Anfang an war klar, dass die DP nicht den aktiven Part in dieser Beziehung einnehmen würde. Die Dominanz der CSV spiegelt sich sowohl inhaltlich im Regierungsprogramm als auch in der Rollenaufteilung wider. Der pater familias sicherte seinem Clan die Kontrolle über die Finanzen, über die Gemeinden, Justiz und Polizei, Staatsdienst und Arbeit, über Gesundheit und Soziales, Ackerbau und Umwelt, den noch immer größtenteils männlich dominierten Sport. Der DP überließ er die Kindererziehung und die Familie, Geschlechtergleichheit und Diversität, Kultur und Digitalisierung. Durch Friedens transversalen Ansatz, wichtige Bereiche in mehreren Ressorts anzusiedeln, behält die CSV die Kontrolle auch in Ministerien, die eigentlich von der DP geführt werden.

Vertrauen Auf internationalem Parkett ist es Luc Frieden, der die erste Geige spielt, sich mit Scholz und Macron trifft, mit Jens Stoltenberg, Ursula von der Leyen und Charles Michel posiert, Wolodymyr Selenskyj umarmend der Ukraine uneingeschränkte Unterstützung zusagt – während Außenminister Bettel durch Asien reist und Verteidigungsministerin Yuriko Backes die Kasernen auf dem Herrenberg renoviert und mit der CGFP um das Bewertungssystem bei der Armee streitet. Vor einem Monat fuhr der frühere Handelskammerpräsident als erster CSV-Premierminister seit Pierre Werner 1972 zum Weltwirtschaftsforum nach Davos, um mit den Regierungschefs von Steueroasen zu plaudern und multinationale Konzerne davon zu überzeugen, „flott a gutt bezuelten Aarbechtsplazen“ in Luxemburg zu schaffen, für die DP-Wirtschaftsminister Lex Delles und CSV-Arbeitsminister Georges Mischo gegenüber den Gewerkschaften die dafür notwendigen handels- und arbeitsrechtlichen Voraussetzungen durchsetzen sollen. Mit dem Umweltministerium sicherte die CSV sich ein strategisches Ressort, das die Pläne von DP-Minister/innen in der Landesplanung, Industrie und Mobilität durchkreuzen kann. Und DP-Wohnungsbauminister Claude Meisch soll sich vornehmlich um erschwinglichen Wohnraum kümmern, während die CSV im Logement das letzte Wort behält, weil ihr Innenminister über die Bebauungspläne der Gemeinden wacht und ihr Finanzminister über Steuervergünstigungen und Zuschüsse entscheidet.

In einer Beziehung, die auf Liebe und gegenseitigem Vertrauen beruht, könnte diese traditionelle und ungerechte Rollenverteilung unter Umständen funktionieren. Die Koalition von CSV und DP ist aber – entgegen der offiziellen Kommunikation der Regierung – keine Liebesbeziehung, keine Partnerschaft auf Augenhöhe. Dafür sind die Sitzverhältnisse im Parlament zu ungleich verteilt, liegen ihre gesellschaftspolitischen Überzeugungen – ihre Vorstellungen von Liebe, Sexua-
lität, Familie und Lebensgestaltung – zu weit auseinander. CSV und DP bilden eine Zweckbeziehung zur Machtausübung. Die einen wollten nach zehn Jahren Opposition unbedingt wieder zurück an die Macht, die anderen um jeden Preis dort bleiben, bevor die Sozialisten ihnen den großen Koalitionspartner ausspannen. Friedens harmonischer Geist von Senningen ist inzwischen der Realität gewichen.

Erste Risse haben sich in der Fassade offenbart. Allen voran beim Bettelverbot, das zwar auf einer Zusammenarbeit zwischen DP- und CSV-Mandatsträgern beruht, jedoch nicht auf Regierungsebene. Der Liebesbeziehung zwischen der Stater DP-Bürgermeisterin Lydie Polfer und CSV-Innenminister Léon Gloden konnten die DP-Minister/innen bislang wenig abgewinnen, wenn sie dazu befragt wurden. Digitalisierungsministerin Stéphanie Obertin wich im RTL Radio der Frage aus, wie sie zu Bettelverbot und „Law and Order“ stehe; Xavier Bettel verhedderte sich im Radio 100,7, als er versuchte, das vor allem in Fußgängerzonen und Parks geltende Heescheverbuet damit zu rechtfertigen, dass Bettler „un d’Fënster tocken“, wenn er mit dem Auto an der Ampel steht, und ältere Menschen dazu zwingen würden, Dinge zu unterschreiben, indem sie vortäuschten, es sei für einen guten Zweck. DP-Kulturminister Eric Thill stellte sich gar schützend vor den Linken Serge Tonnar und die Künstler/innen im Allgemeinen, als der CSV-Innenminister ihnen vorwarf, für das Graffito an seiner Mauer und die zerstochenen Reifen am Fahrzeug vor seiner Tür mitverantwortlich zu sein.

Die Aussagen des Premierministers haben nicht dazu beigetragen, dass die im Parlament und in den Medien äußerst kontrovers und insbesondere von Regierungsseite manchmal polemisch geführte Diskussion zwischen Mehrheit und Opposition, aber auch zwischen Exekutive und Judikative, sich gelegt hat. Etwas geglättet haben die Wogen sich erst, als CSV-Justizministerin Elisabeth Margue in einer nicht-öffentlichen parlamentarischen Ausschusssitzung ankündigte, sie wolle das Betteln künftig nicht strafrechtlich verbieten, den Gemeinden aber die Möglichkeit lassen, Einschränkungen über kommunale Reglements vorzunehmen. Öffentlich sagte sie das nicht, denn mit diesem Eingeständnis hätte sie sich dem Vorwurf aussetzen können, der Argumentation des CSV-Innenministers und des Stater DP-CSV-Schöffenrats zu widersprechen, die bis bis heute hartnäckig behaupten, das Bettelverbot beruhe auf einer strafrechtlichen Grundlage.

Freundschaft Als vergangene Woche die Medien über den von einer jungen DP-Kandidatin auf Instagram verbreiteten Vorwurf berichteten, Claude Meisch habe eine hohe Beamtin im Bildungsministerium, mit der er privat ein „freundschaftliches“ Verhältnis pflegt, mutmaßlich in der Öffentlichkeit geohrfeigt, stellte der Premierminister sich nicht uneingeschränkt hinter den DP-Bildungs- und Wohnungsbauminister. Nach einem „ausführlichen Gespräch“ mit Meisch ließ Frieden gegenüber RTL mitteilen: „Le Premier ministre s’attend à ce que les faits soient établis en toute transparence par les autorités compétentes.“ Ein klares Bekenntnis, dass die Vorwürfe falsch seien, lässt sich daraus nicht ableiten. Und als ob Meisch das nach zehn Jahren Regierungserfahrung nicht selbst wüsste, ließ Frieden seine Mitteilung mit dem Satz enden: „Par ailleurs, il souligne le principe que tous les membres du Gouvernement doivent faire preuve en toutes circonstances d’un comportement exemplaire.“

Umgesetzt hat die neue Regierung bislang wenig. Die wichtigsten Maßnahmen waren die zaghafte Anpassung der Einkommenssteuertabelle an die Inflation um anderthalb Indextranchen (zusätzlich zu den noch von der Vorgängerregierung beschlossenen 2,5 Tranchen) und die vor zwei Wochen vorgestellten 17 Maßnahmen – mehrheitlich Steuervergünstigungen und Subventionen für Investoren und potenzielle Eigenheimkäufer –, um die Wirtschaftsaktivität im Bausektor wieder anzukurbeln. Das Paket wurde vergangene Woche von Déi Lénk als „Niwwelkäerz“ verrissen. Dem Hesperinger député-maire Marc Lies (CSV) reichen diese beiden Initiativen hingegen, um zu schlussfolgern, die neue Regierung habe keinen Fehlstart hingelegt, wie er am Dienstag im RTL Radio erklärte. In einwandfreiem Fußballerjargon bedauerte Lies, dass die Opposition der Regierung keine hunderttägige Schonfrist zugestanden habe: „Hei sinn et der vum éischten Dag un direkt auf die Socken ginn.“

Natürlich hat die Regierung sich die Polemik um das Bettelverbot selbst zuzuschreiben. Léon Gloden hätte die Entscheidung seiner sozialistischen Vorgängerin Taina Bofferding, das umstrittene Reglement der Stadt Luxemburg nicht zu genehmigen, nicht rückgängig machen müssen. Er hätte warten können, bis das Verwaltungsgericht über den Einspruch des Stater Schöffenrats urteilt. Léon Gloden wollte nach seinem Amtsantritt aber offensichtlich ein politisches Zeichen setzen – eine Duftmarke, die von der Opposition möglicherweise zurecht als Provokation aufgenommen wurde.

Tatsächlich hat die CSV-DP-Regierung keinen leichten Stand. Viele ihrer Minister/innen sind neu und unerfahren – ihnen auf der Oppositionsbank gegenüber sitzen frühere Regierungsmitglieder, die mit den Dossiers bestens vertraut und noch gut im Staatsapparat vernetzt sind. Obwohl der Premierminister bei seiner Antrittserklärung betonte, die neue Regierung werde keine Reformen der alten rückgängig machen, steht ihre rechtsliberale Grundausrichtung zum Teil im Widerspruch zu der sozialliberalen der Dreierkoalition. Der von Luc Frieden verfolgte Trickle-Down-Ansatz, mit Steuervergünstigungen die Wirtschaft zu stärken, damit die Allgemeinheit davon profitieren kann, wurde nicht nur von LSAP, Linken und Grünen, sondern auch vom Präsidenten des Conseil national des finances publiques, Romain Bausch, als naiv und für den auf hohe Importe angewiesenen Kleinstaat Luxemburg ungeeignet entlarvt.

Außer ihrer „neoliberalen“ Ausrichtung bieten CSV und DP aber bislang kaum konkrete, politische Angriffsflächen. Das Koalitionsprogramm ist absichtlich vage gehalten, die von CSV-Sozial-
ministerin Martine Deprez angekündigte Rentenreform soll erst nach einer breiten öffentlichen Konsultation Form annehmen. Auch im Wohnungsbau und in der Landwirtschaft will die Regierung erst die Forderungen der Akteure „vum Terrain“ anhören, bevor sie Entscheidungen trifft. Da die meisten Interessenverbände dem Formateur ihre Wünsche aber schon während der Koa-
litionsverhandlungen ausführlich mitgeteilt hatten und der Regierung hinlänglich bekannt sind, ist davon auszugehen, dass mit dem Landwirtschaftstisch und der nationalen „Logementsreunioun“ Bürgerbeteiligung lediglich öffentlichkeitswirksam vorgespielt werden soll.

Trennung Ausgerechnet in der für CSV und DP traditionell so wichtigen Landwirtschaft deutet sich derweil schon die nächste Zerreißprobe an. Die Bauernzentrale, die (wie die anderen Bauernverbände) aus Verbundenheit mit ihrer neuen CSV-Ministerin Martine Hansen nicht an den Protesten ihrer ausländischen Kolleg/innen teilgenommen hatte, kritisierte am Freitag im Letzebuerger Bauer die Jungbauern und Landjugend dafür, dass sie zu einer Demonstration nach Schengen gefahren waren. Einer der Treffpunkte der Aufständischen habe sich „auf dem Hof eines DP-Abgeordneten“ befunden, berichtet der Direktor der Bauernzentrale, Laurent Schüssler, in seinem Kommentar, und fragt sich, wie Martine Hansen wohl dazu stehe. Um daraus abzuleiten: „Die Stimmung beim nächsten CSV-DP-Regierungsrat könnte jedoch hitzig werden.“

Am Ende könnte die ungleiche Zweckbeziehung der DP mehr schaden als der großen Volkspartei CSV. Wie schon 1999, als die Liberalen (nach Sitzen) ihr bestes Wahlresultat in der Nachkriegsgeschichte erzielte. Nach der von CSV und LSAP eingeleiteten Angleichung des öffentlichen und privaten Rentensystems hatte die DP im Wahlkampf die Forderungen der CGFP übernommen und damit die Beamtenherzen erobert. In den anschließenden Koalitionsverhandlungen mit der CSV spielte die Rentenfrage jedoch keine Rolle mehr. Die DP opferte der Regierungsbeteiligung ihr Wahlversprechen, die Pensionsreform wieder rückgängig zu machen. Die Beamt/innen zahlten es ihr heim: 2004 verlor die DP fünf Sitze und musste zurück in die Opposition.

2023 hat die DP die Abschaffung der Steuerklassen versprochen. Nicht den Beamten, sondern vor allem den Alleinerziehenden und der wachsenden queeren Community, die die kleinbürgerliche Familie und die Institutionalisierung von Liebe und Beziehungen als für sie ungeeignet erachtet. Die DP verspricht die Individualisierung der Einkommenssteuer schon seit 2013, doch 2023 tat sie es mit Nachdruck. Die CSV war nicht dafür, aber bei den Koalitionsverhandlungen wurde ein Kompromiss gefunden: Bis 2026 soll CSV-Finanzminister Gilles Roth ein Projekt zur Umsetzung der Individualbesteuerung vorlegen. Letzte Woche ließ Roth bei der Diskussion über zwei Petitionen im Parlament bereits durchblicken, in welche Richtung es gehen soll. Laut Tageblatt behauptete er, Alleinstehende einfach in die Steuerklasse 2 zu verschieben, schaffe nur neue Ungerechtigkeiten. Weil Menschen mit Kindern und verheiratete oder gepaxte Paare eine ganz andere finanzielle Verantwortung tragen würden.

Luc Laboulle
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