Vier Theaterstücke aus Luxemburg

Der „luxemburgische Theaterverlag“ geht in die zweite Runde

d'Lëtzebuerger Land vom 06.12.2024

Der zweite Band der Theater-Reihe mit einem Fokus auf Stücke aus Luxemburg von Hydre ist da – und zwar schon etwas länger. Die vier sehr unterschiedlichen Stücke auf Französisch und Deutsch, die 2000 sowie in den letzten drei Jahren uraufgeführt wurden, widmen sich sehr diversen Themen. Gemein ist ihnen höchstens, dass es sich vorwiegend um Monologe oder Nahezu-Monologe handelt, mit Nebenfiguren, die wenig agieren, beziehunsgweise wenig sprechen. Stéphane Ghislain Roussel setzt sich in Luonnollisesti (naturellement) aus Sicht einer Schauspielerin – als Hommage an Marja-Leena Junker – mit der zeitgenössischen Gesellschaft und der Rolle der Frauen auseinander. Er beschwört sehnsuchtsvolle Bilder aus Finnland herauf, um den Kontrast zwischen „Zivilisation“ und Rückzug in die „Wildnis“ zu verdeutlichen. Marie Jungs Poupette thematisiert anhand der 96-jährigen Hauptfigur – einer Künstlerin und Widerstandskämpferin – poetisch, aber etwas dick aufgetragen, den Klimawandel und die Hierarchien in unserer Gesellschaft sowie Liebe, Beziehung und Bindungen.

Mandy Thiery untersucht in Das Fenster, dem vielstimmigsten Text, die Weltsicht und das Innenleben einer demotivierten, von der Jagd nach Internet-Ruhm getriebenen Jugend. Drei Jugendliche sind dabei, sich von ihrem Elternhaus zu emanzipieren, stellen ungewollt ihre Oberflächlichkeit zur Schau und entdecken ihre Sexualität. Bis eines Tages ein Fremder am Fenster auftaucht – ein moderner Peter Pan? Das Text hat Längen, die gewiss die Langeweile der Jugendlichen evozieren und auf der Bühne schauspielerisch gefüllt werden können. Es gibt hohle Gemeinplätze, aber auch lustige Momente voller Schlagfertigkeit. Das Fenster ist der der stärkste Text des Bandes.
Raoul Biltgens Nachspiel ist ebenfalls durchaus amüsant und spannend erzählt. In einem Nahezu-Monolog zweier Fotografen, die einander immer wieder ins Wort fallen oder sich widersprechen, wird ein Verbrechen nacherzählt, das beide nach einer Fotosession im Winter bezeugen können. Durch das Intro erinnert der Text an Warten auf Godot. Schnell wird jedoch klar, dass hier zwei Ulknudeln im Fokus stehen, die durch ihre Aussagen und ihre Verwirrtheit das Tempo der Handlung vorgeben. Weder ihre Erzählweise (die oft in unsinnige Wortwitze oder zusammenhanglose Seitenstränge abzweigt) noch ihre Konfusion scheint unbedingt an den Charakter der Figuren gebunden, doch der Fluss ihres Berichts und sein komödiantisches Potenzial tragen den Text.

Insgesamt lässt der zweite Band der Theater-Reihe etwas von der Kunstfertigkeit, der sprachlichen und thematischen Dichte des ersten Bandes Bandes vermissen. Darin waren zum Beispiel Elise Schmit und Larissa Faber mit starken Texten vertreten, die neue Formen und relevante Themen spielerisch auskosteten. Die Reihe steckt noch in den Kinderschuhen. Es wird spannend zu sehen, welchen Weg der dritte Band einschlägt, sowohl thematisch als auch qualitativ, und welche Texte einen Platz darin finden werden.

Stéphane Ghislain Roussel, Mandy Thiery, Marie Jung & Raoul Biltgen:

Claire Schmartz
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