ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Class marker

d'Lëtzebuerger Land du 12.09.2025

Ein wenig erinnert Luc Frieden an Donald Trump. Der US-Präsident wollte eine Tripartite von Vertretern der USA, Russlands, der Ukraine veranstalten. Um die Zukunft der Ukraine zu regeln. Er wollte den Vermittler spielen. Er hält Wladimir Putin für seinesgleichen. Wolodymyr Selenskyj zählt er zum Personal. Er glaubt, Kompromisse diktieren zu können. Deshalb will ihm die Vermittlung nicht gelingen. Der ukrainische Präsident traut ihm nicht. Der russische fühlt sich ermutigt, mehr herauszuschlagen.

Der CSV-Premier wollte mit Unternehmerverband und Gewerkschaften eine Tripartite veranstalten. Um die Zukunft des Kollektivvertragswesens, der Lebens-, der Wochenarbeitszeit zu regeln. Er wollte den Vermittler spielen.

Er gehörte zum Vorstand von BIL, Deutscher Bank London, Sankt-Paulus-Verlag, Handelskammer. Verächtlich witzelte er auf dem CSV-Sommerfest, Gewerkschaftsfunktionäre seien keine Überstunden gewohnt. Der Scherz ist ein class marker. Unternehmer erzählen ihn seit Jahrzehnten – wenn sie unter sich sind.

Luc Frieden hält den Präsidenten der Union des entreprises luxembourgeoises für seinesgleichen. Die Vertreter der Lohnarbeitenden zählt er zum Personal. Er glaubt, Kompromisse diktieren zu können. Deshalb will ihm die Vermittlung nicht gelingen. Die Gewerkschaften trauen ihm nicht. Die UEL fühlt sich ermutigt, mehr herauszuschlagen.

Siegerin der Tripartite ist eine schmale Fraktion Handelskapital: Dank CSV, DP siegten Supermärkte über Verkäuferinnen, Kassiererinnen, Mindestlohnbezieherinnen. Die Öffnungszeiten, die Sonntagsarbeit sollen verlängert werden. Diesem Mittelstand fühlt sich der UEL-Präsident nahe. Er besitzt einen Klempnerbetrieb. Finanzsektor, Exportindustrie interessiert der Streit wenig.

Luc Frieden wollte die Tripartite umbenennen. Tripartite klingt nach Klassenkompromiss zwischen Kapital und Arbeit. Wo jeder etwas mitentscheiden, etwas abbekommen soll. Nun scheint ungehemmte Bereicherung nicht mehr unanständig. Zu dem Zweck wollen Frieden, Reckinger, Mischo die Gewerkschaften übergehen, schwächen. Sozialpartnerschaft klingt wie Kassettenrekorder, Nokia-Handy, Hei elei, kuck elei.

Auf der Tagesordnung der Tripartite standen bloß Unternehmerforderungen: Demontage des Kollektivvertragsgesetzes, Rentenkürzungen, Verlängerung der Sonntagsarbeit, der Ladenöffnungszeiten. Die Gewerkschaften waren in der Defensive. Dann werfen Lohnschreiber ihnen die Verteidigung von „droits acquis“ vor.

Nach der dritten Tripartite-Runde krähte der Hahn. Vizepremier Xavier Bettel verleugnete seinen Premier: Keine Partei habe ein Wählermandat für eine Rentenreform. 2023 prokrastinierte das Wahlprogramm der CSV: „Hier besteht langfristiger Handlungsbedarf“ (S. 15). Dagegen diktierte die Wahlkampfbroschüre der Handelskammer: „Une réforme du système de pensions devra être mise en œuvre dès le début de la mandature, soit 2024“ (Garantir des finances publiques [...], S. 30). Luc Frieden ist CSV-Präsident. Er hält sich an das Mandat der Handelskammer.

Dass ein Premier Tripartite-Verhandlungen abbricht, ist nicht ungewöhnlich. Jean-Claude Juncker tat es 2010, Xavier Bettel tat es 2022. Am 28. Juni führten Zehntausende Demonstranten OGBL, LCGB aus der babylonischen Gefangenschaft der Tripartite. CSV und DP bekamen Angst vor der eigenen Courage. Sie bliesen die Demontage des Kollektivvertragsgesetzes ab. Sie schlachten erstmals seit 40 Jahren die heilige Kuh Beitragserhöhungen. Sie verlängern die Mindestversicherungsdauer für eine vorgezogene Altersrente von 480 auf 488 Monate. Statt auf 540 Monate, wie im Mai geplant.

LCGB-Präsident Patrick Dury fand „ganz vill Saachen do, déi extreem an eis Richtung ginn“ (Radio 100,7, 4.9.25). OGBL-Präsidentin Nora Back meinte: „D’Verhandlunge waren en Échec – dat méi op der Form, wéi um Contenu“ (RTL, 3.9.25). Die Gewerkschaften waren bereit, ein Tripartite-Abkommen zu unterschreiben. Wenn die Regierung ihnen eins vorgelegt hätte.

Romain Hilgert
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