Erst verhalf Luc Frieden OGBL und LCGB zur Gewerkschafts-Union, nun zur Narrenfreiheit

R.I.P. Tripartite

Pressekonferenz nach der Sozialronn am Mittwoch
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 05.09.2025

Normalerweise ist Marc Spautz einer, der sein Image als vielleicht letzter Vertreter des sozialen Flügels der CSV pflegt, aber auch weiß, welche Rolle er als Präsident der Kammerfraktion für die Partei und für den Premier zu spielen hat. Am gestrigen Donnerstagmorgen im 100,7 jedoch gab es von ihm keine anerkennenden Worte für Luc Frieden. Etwa dass der die Sozialronn am Tag vorher mit einem Kompromiss beendet habe, dem Mittelweg zwischen zwei Positionen, die einfach zu verschieden waren. Stattdessen meinte Spautz mit schwerer Stimme, ein Abkommen wäre „besser gewesen“. Und die Aussicht, dass die Abgeordnetenkammer es demnächst mit einem Gesetzentwurf über eine Mini-Rentenreform zu tun bekommt, schien ihm nicht zu behagen.

Man kann das gut verstehen. Es wird vor allem an Spautz sein, die Scherben zusammenzuklauben, für die der Premier gesorgt hat. Noch ist nicht genau zu sehen, wo die Scherben liegen. Aber am Mittwoch wurde das Tripartite-Modell schlimmstenfalls für immer zu Grabe getragen, bestenfalls für den Rest dieser Legislaturperiode in ein Koma versetzt. Es müsste schon eine ganz große Krise kommen, damit OGBL und LCGB sich unter Premier Luc Frieden noch einmal an einen sozialpartnerschaftlichen Tisch setzen. Was nun an Gesetzentwürfen ins Parlament kommt, oder was an Entwürfen, die dort schon liegen, geändert wird, wird die Entscheidungen der Regierung enthalten. Während im außerparlamentarischen Raum die Gewerkschafts-Union aus OGBL und LCGB sich nicht zurückzuhalten braucht und auf die politische Debatte mit allen möglichen Aktionen Einfluss nehmen kann. Erst verhalf Luc Frieden den beiden Gewerkschaften zur „Union“, nun zur Narrenfreiheit.

Dabei sah es am Montag so aus, als sei eine Einigung in der Sozialronn zwei Tage später quasi programmiert. Mit der halben Regierung nahm der Premier an der Zeremonie der Gewerkschaften zum Labor Day auf dem amerikanischen Soldatenfriedhof in Hamm teil. Bilder in Zeitungen und im Fernsehen zeigten ihn mit Nora Back unter einem Regenschirm, wie mit einem Staatsgast. Am Mittwochmorgen vor dem Staatsministerium streute er unter Journalist/innen, vielleicht träfen Regierung und Sozialpartner sich am Tag danach ja doch noch einmal wieder, obwohl er das vergangene Woche eigentlich ausgeschlossen hatte. Doch am Ende ging alles sehr schnell. Gegen 15 Uhr erklärte Frieden, die Versammlung sei „fertig“.

Da war er wieder, der Premier in seiner Rolle als CEO einer Regierung, die entscheidet, nachdem sie zugehört hat. Vor der Presse um kurz vor halb fünf sagte er, was die Regierung dem Parlament nun vorschlagen werde, sei der „Mittelweg“, als habe es nichts mehr zu verhandeln gegeben. Tatsächlich aber machte die Regierung einen Rückzieher hinter zwei ihrer Vorschläge der Sozialronn vom 14. Juli. Zum einen zu den Ladenöffnungszeiten im Einzelhandel, zum anderen zu den Renten und Pensionen. Die würden auch weiterhin voll an die Entwicklung der Reallöhne angepasst, hatte der letzte Vorschlag der Regierung am 14. Juli gelautet. Am Mittwoch erklärte Luc Frieden das zu einem Missverständnis. Dass die Regierung zu den Ladenöffnungszeiten etwas anderes gesagt habe, auch. Das meinte die OGBL-Präsidentin, als sie nach der Runde davon sprach, die Nicht-Einigung bestehe „weniger im Inhalt als in der Form“.

Was der Ausgang der Sozialronn für Konsequenzen haben wird, bleibt abzuwarten. Wahrscheinlich keine guten für die Regierung und den Premier. Luc Frieden hätte daran gelegen sein müssen, unbedingt ein Abkommen zu erreichen. An Stabilität und Vorhersagbarkeit unter den Sozialpartnern muss vor allem die Regierung ein Interesse haben. Es führt eine direkte Linie von den ungeschickten Äußerungen von CSV-Arbeitsminister Georges Mischo im Oktober zur Repräsentativität der Gewerkschaften, über Luc Friedens Chef-Gebaren auf Empfängen der Unternehmerverbände bis hin zu seinen bis heute unerklärlichen Ankündigungen im état de la nation zu den Renten. Jedes Mal wurden OGBL und LCGB mobiler, geeinter, stärker. Nach der Maniff vom 28. Juni so stark, dass sie Luc Frieden nicht nur die Tagesordnung der ersten Sozialronn am 9. Juli diktieren konnten, sondern sogar die Reihenfolge der zu besprechenden Themen. Dass sie entsprechend energisch acquis sociaux verteidigen würden, musste dem Premier klar sein. Doch sie am Ende aus der Rolle von Mitbeteiligten an einem Kompromiss in eine von Straßenkämpfern zu entlassen, dürfte sich als ähnlich große strategische Fehl-
entscheidung Luc Friedens erweisen wie seine Ankündigungen zu den Renten im Mai. Vielleicht sogar als eine größere. Am 28. Juni haben OGBL und LCGB gezeigt, wozu sie fähig sind. Das werden sie weiterhin tun. So gesehen, sind sie die Sieger der Runde vom Mittwoch.

Dass Luc Frieden das nicht verhindern konnte, wird ihm anhängen. Entgegen seiner eigenen Behauptungen im Wahlkampf ist er nicht mit viel leadership begabt. Für seine Agenda Lëtzebuerg fir d’Zukunft stäerken, den Slogan des Koalitionsprogramms, müsste er über eine kohärente Erzählung verfügen, in die von Innovation über Digitalisierung bis hin zu einer Rentenreform alles aufgehoben wäre. So eine Erzählung hat Luc Frieden aber nicht. Stattdessen hat er dem Patronat Dinge versprochen, die er nicht einzulösen imstande ist.

Wie gefährlich das ist, demonstrierte sein Vizepremier von der DP nach der Sozialronn vor der Presse. Welten trennten Luc Frieden, dessen Stimme immer heiserer wurde, von Xavier Bettel, der mit großer Geste, viel Volumen und einigem Pathos zu einer Rede anhob, in der er Frieden in den Rücken fiel: Im Wahlkampf 2023 habe sich keine Partei für eine Rentenreform mandatieren lassen und im Koalitionsprogramm sei von einer Reform keine Rede. Das stimmt zwar, doch bis zum Mittwoch hatte daran kein DP-Regierungsmitglied und niemand aus der DP-Kammerfraktion öffentlich Anstoß genommen. Nun jedoch war der Moment gekommen, der CSV und Luc Frieden die Verantwortung für den vorerst gescheiterten Versuch zuzuschieben, die Beitragsjahre so zu verlängern, wie der Premier im état de la nation verkündet und den Gewerkschaften ein unvermutetes politisches Geschenk für den 28. Juni gemacht hatte. Dass bei der Rentendebatte im Parlament im März die DP-Fraktion genauso wie die der CSV mehr Beitragsjahren einiges abgewinnen konnte, spielt im Kontext von heute gar keine Rolle mehr. Heute zählt eher das Lob der Staatsbeamtengewerkschaft für Bettels Eingeständnis: Das habe sie schon immer gesagt, schrieb die CGFP noch am Abend nach der Sozialronn in einer Presserklärung, weshalb sie „dieser Aussage des Vizepremiers nur zustimmen“ könne.

Wenn die DP sich aus der Zuständigkeit für die Rentenpolitik der Regierung in den vergangenen 20 Monaten verabschiedet hat, könnte sie umso mehr die für die Ladenöffnungszeiten für sich reklamieren. Das Entgegenkommen in dieser Sache an OGBL und LCGB am 14. Juli ging auf DP-Wirtschaftsminister Lex Delles zurück, der Rückzieher in der Sozialronn am Mittwoch ebenfalls. Weil der Premier im Schussfeld der Gewerkschaften steht, fällt das nicht weiter auf und kann der DP gegenüber ihrer Klientel politisch nützen. Geschäftsinhaber sind gerne frei in den Öffnungszeiten ihrer Läden, DP-Wähler kaufen gerne ein.

Gut möglich, dass die DP sich schon vor den nächsten Wahlen von der CSV immer wieder abzusetzen versuchen wird. Vielleicht, wenn die Regierung daran geht, ihre Mini-Rentenreform durch die Instanzen zu bringen. Eine Reform, die zwar auch Zugeständnisse an die Gewerkschaften enthält, aber in erster Linie ein Versprechen ans Wahlvolk ist, bis 2028 nur ein wenig zu ändern. Wobei der große Makel der endgültigen Regierungsposition vom Mittwoch zu den Renten im Signal an die jungen Menschen besteht, dass sie die Hauptlast zu tragen haben werden. Durch zunächst geringfügig erhöhte Beiträge, aber vielleicht kommt ja in den nächsten Jahren noch ein Nachschlag. Durch zunächst acht Monate mehr Beitragszeit, aber dabei wird es kaum für immer bleiben. Die schon Pensionierten hingegen bleiben unbelastet, bis vielleicht 2030 die Ausgaben der Rentenkasse die Einnahmen übersteigen werden, weil ein von 24 auf 25,5 Prozent erhöhter Beitragssatz für Aufschub gesorgt hat und die Frage: Was wird mit dem ajustement?, sich dann stellt.

Ob es im Parlament zu einer Rentendiskussion kommt, die weiter reicht als in den Sozialronnen, ist eine interessante Frage. Vielleicht nicht, weil die Mehrheitsverhältnisse dieselben sind. Vielleicht auch deshalb nicht, weil CSV und DP der außerparlamentarischen Opposition aus OGBL und LCGB keine Munition werden liefern wollen. Der CGFP natürlich auch nicht. Dann würden die Renten tatsächlich Wahlkampfthema. Auf jeden Fall aber ist die Welt im kleinen Großherzogtum seit diesem Mittwoch eine andere. 

Peter Feist
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