Seit über acht Jahrzehnten durchzieht Superman die kulturelle Imagination. Er ist weniger eine Figur, als ein Prisma, in dem sich gesellschaftliche Wünsche, Hoffnungen und Ängste brechen. Der „Mann aus Stahl“ mit übermenschlichen Kräften ist eine Symbolmaschine, die in jeder Epoche neu programmiert wird. Seine Bedeutung liegt weniger in den Geschichten, die er erlebt, als in den Vorstellungen, die er verkörpert.
Die Geburt Supermans 1938 fiel in eine Zeit massiver Umbrüche. Die Vereinigten Staaten litten noch unter den Folgen der Großen Depression, Europa stand vor dem Krieg. Jerry Siegel und Joe Shuster, zwei junge jüdisch-amerikanische Autoren, entwarfen einen Retter, der Ordnung und Hoffnung versprach. Kal-El, das Kind vom sterbenden Planeten Krypton, das in einer Kapsel auf die Erde geschickt wird, ist mehr als Science-Fiction: Er verkörpert das Immigrantenschicksal. Wie Moses in einem Korb treibt er in die Fremde und wächst dort zum Befreier heran. Dass er in Smallville, Kansas, aufwächst, ist kein Zufall: Dort lernt er die Werte der amerikanischen Provinz – Bescheidenheit, Fleiß, moralische Klarheit. In Superman verschmelzen jüdische Diaspora, amerikanischer Idealismus und moderne Mythologie zu einem Bild von Hoffnung, das den Menschen in einer von Unsicherheit geprägten Zeit Halt gibt.
Die frühen Adaptionen verstärkten diese Symbolkraft. Die Fleischer-Cartoons der 1940er Jahre inszenierten Superman als futuristischen Hüter, ein technisches Wunder gegen Bedrohungen von außen. In der Nachkriegszeit dagegen wurde er zum konservativen Gesetzeshüter: In der TV-Serie der 1950er Jahre spiegelte er die Werte einer Nation, die sich im Kalten Krieg definierte. Superman stand für Stabilität und Ordnung in einer Welt der ideologischen Fronten. Er war weniger Individualist, als Garant eines Systems, das seine Tugenden in ihm gespiegelt sah. Doch mit Richard Donners Film von 1978 trat eine neue Dimension hinzu. Christopher Reeve verkörperte einen Helden, der zugleich menschlich und übermenschlich war. In einer Zeit, die von Vietnam, Watergate und politischem Zynismus geprägt war, bot Superman eine Projektionsfläche für Reinheit und Aufrichtigkeit. Was die Zuschauer wirklich trug, war nicht das Versprechen des Fliegens, sondern dass Reinheit mehr ist als eine Illusion. Donners Film machte Superman zum moralischen Fels in einer brüchig gewordenen Welt und schuf damit ein Bild, das weit über den Kinosaal hinaus wirkte.
Doch Symbole altern. In den 1980er Jahren, als ironische und gebrochene Figuren populär wurden, geriet der strahlende Held ins Abseits. In den 1980ern verschoben sich die Heldenbilder radikal: Auf der Leinwand traten traumatisierte Einzelkämpfer wie Rambo, Mad Max oder John McClane an die Stelle unerschütterlicher Lichtgestalten, während in den Comics Frank Millers Dark Knight Returns und Alan Moores Watchmen die makellose Moral der Superhelden in düstere Grauzonen zerlegten. Der Held war nicht länger ein Vorbild, sondern ein Problem – und gerade darin wirkte Superman mit seiner strahlenden Reinheit zunehmend wie ein Relikt. Die späteren Fortsetzungen von Superman schienen aus der Zeit gefallen. Erst in den 1990er Jahren tauchte er im Fernsehen neu auf, nun weicher, humorvoller, stärker auf die romantische Dimension konzentriert. Die Serie Lois & Clark präsentierte ihn weniger als göttlichen Retter denn als Partner, Freund, Nachbarn – ein Versuch, ihn an eine Kultur anzupassen, die mehr auf Intimität als auf Pathos setzte.
Doch der gesellschaftliche Resonanzraum verschob sich erneut: Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 waren Helden gefragt, die nicht makellos, sondern gebrochen waren. Bryan Singers Superman Returns scheiterte 2006 an genau dieser Spannung: Der Held als melancholischer Erlöser blieb eine nostalgische Geste, unfähig, die Verunsicherung der Gegenwart zu adressieren. Dagegen stellte Zack Snyder ab 2013 in Man of Steel und den folgenden Filmen einen anderen Superman ins Zentrum: nicht mehr den Boy Scout, sondern einen tragischen Gott. Hier war er Objekt der Angst wie der Verehrung, eine Figur, die Machtprobleme sichtbar machte. Snyder verwandelte Superman in einen Spiegel von Ambivalenzen nach 9/11: Misstrauen gegenüber Autoritäten, Unsicherheit angesichts globaler Bedrohungen, Sehnsucht nach Orientierung in einer chaotischen Welt.
Diese Schwere erzeugte Müdigkeit. Die Zuschauer erkannten zwar die Relevanz, verweigerten sich aber dem Pathos. Zu düster, zu prätentiös schien der Held, der einst für Leichtigkeit gestanden hatte. So markiert James Gunns neuer Ansatz einen bewussten Bruch. Sein Superman, gespielt von David Corenswet, soll wieder nahbar, hell und menschlich sein. Er verkörpert Mitgefühl und Integrität, eingebettet in familiäre Beziehungen – einen Hund hat er auch noch. In einer Zeit multipler Krisen – ökologisch, geopolitisch, sozial – erscheint er als utopisches Gegenbild: kein entrückter Übermensch, sondern Symbol für Gemeinschaft und moralische Erneuerung. Aber ist dieser Optimismus noch radikal? Oder ist er nur nostalgisches Pflaster auf die Müdigkeit des Genres? Gunns Superman will das Zynische überwinden, doch gerade darin zeigt sich die Ambivalenz: Er gibt nicht Antworten, sondern bietet Trost. Er ist weniger subversiver Entwurf, als Repräsentation einer Sehnsucht nach Orientierung. Indem er auf Menschlichkeit setzt, erfüllt er ein Bedürfnis, das zugleich utopisch und nostalgisch ist.
Superman ist mithin weniger ein Charakter als ein kulturelles Instrument. In den 1930ern war er der Arbeiterheld gegen Korruption, in den 1970ern der moralische Retter in Zeiten politischer Zweifel, in den 2010ern ein göttlicher Außenseiter im Zeitalter globaler Verunsicherung. Heute soll er Hoffnung stiften, wo Orientierungslosigkeit herrscht. Jede Phase zeigt, wie sehr Superman ein Spiegel kollektiver Stimmungen ist. Die Frage bleibt, ob ein Held, der immer Spiegel ist, zu mehr dienen kann, als zur Projektion. Doch gerade in dieser Projektion liegt seine Kraft. Er ist ein Symbol, das nie endgültig gefüllt, sondern immer neu interpretiert wird. Deshalb verschwindet er nicht, obwohl das Genre an Übermüdung leidet: Mit dem beispiellosen Erfolg des Marvel Cinematic Universe ist der Superheldenfilm längst zur industriellen Routine geworden – immer neue Universen, immer größere Crossover, immer weniger Überraschung. Wo einst ein einzelner Mann, der die Schwerkraft überwand, Staunen auslöste, tummeln sich heute Heerscharen von Göttern, Mutanten und Zauberern im selben Bildkader. Superkräfte sind zum kalkulierten Superlativ verkommen – stets größer, lauter, bunter –, und gerade dadurch verlieren sie ihre Einzigartigkeit. Wenn jeder fliegen, Blitze schleudern und Welten retten kann, dann wird das Außerordentliche trivial. Was einst mythisch wirkte, ist Se-
rienware geworden. In diesem ermüdeten Klima erscheint Superman doppelt herausgefordert – einerseits als Wiedergänger einer alten Ikone, andererseits als Hoffnungsträger, dass das Genre selbst noch einmal zu sich finden kann. Er ist weniger Antwort als Frage – und gerade dadurch unverzichtbar.
Superman repräsentiert am Ende nicht nur den „American Way of Life“, sondern die Fähigkeit der Kultur, sich im Helden selbst zu erkennen. Er ist Mythos, der zugleich stabil und beweglich bleibt. Mal Heilsfigur, mal Außenseiter, mal Nostalgie, mal Utopie – stets jedoch Ausdruck einer Gesellschaft, die in ihm nach sich selber sucht.